Im Augenblick

Da stehen sie nun, er angelehnt an irgendwas,
sie vor ihm, ungläubig lächelnd.
Er nimmt sie an den Schultern,
zieht sanft sie heran.
Hast du nicht einmal gefragt,
warum ich nicht meditiere?
Meine Übung ist Leben.
Nimm den Besen und kehre den Hof.
Wenn du nur tust, was du tust,
alles zu geben,
wird Zeit zur Ewigkeit.

Aber jetzt, meine Liebe,
sind wir bei der schönsten Übung unseres Lebens.
Denk nicht, was war,
nicht was nicht sein darf.
Zeit des Gebens.
Wir steigen nicht zweimal in denselben Fluss!
Denk nicht, was werden soll,
was nicht werden darf,
weil anderes wichtiger ist,
und anderen gefällt.
Nichts ist wichtiger als das, was ist.
Wir haben so wenig Zeit.
Wenn wir nur diesen Augenblick leben,
haben wir alle Zeit dieser Welt.

Er legt seine Arme um sie.
Wange an Wange.
Dann blicken sie sich in die Augen.
Nur du, und sonst nichts,
versinken im Sein.
Nicht mal ich,
denn da ist Größeres.
Einfach nur Da-Sein.
Wie in Zeitlupe nähern sich die Gesichter,
finden sich ihre Lippen,
die Welt versinkt,
ihre Seelen sind schon eins.

 

Ein Leben ohne Träume

Man stelle sich vor: ein Leben ohne Träume. Nur Fakten, nur Realität, nur Dinge, die der Fall sind. Keine Träume, keine Fantasien, keine Wünsche, kein Ahnen, keine Liebe… Ja auch keine Liebe, denn Liebe ist immer Wirklichkeit gewordener Traum. Nicht dass man diesen Partner geträumt hätte, der platzt meist unangemeldet in die Geschichte, aber ohne zu Träumen könnte er das wahrscheinlich nicht.

Aber auch das alltägliche Leben würde wohl nicht funktionieren. Gut, dass Kinder mehr träumen als sonst was, ist klar. Aber wird ihnen das nicht rechtzeitig ausgetrieben? Nur scheinbar. In der Pubertät werden aus den Träumen Fantasie-Tsunamis, manches tritt ins Leben, wird banal, verschwindet im Nebel. Der Mensch wird wieder realistischer. Um weiter zu träumen, was aus ihm werden soll, Beruf, Berufung, Interessen, Partner, Lebenspartner. Wieder Ablenkung durch die Realität, des Berufs, des Lebens, der Beziehungen. Illusionen kommen und gehen. Und werden von anderen abgelöst.

Es gibt Träumer und Realisten. Träumer stehen zu ihren Träumen, Realisten nicht.

Träumer haben ein Traumauto, ein Traumziel, einen Traumberuf… Und wenn Träumer ein Resümee ihres Lebens ziehen, stellen sie fest, manches ist Wirklichkeit geworden, manches nicht so wie man es erträumt hat, aber doch irgendwie, und anderes gar nicht. Aber alles in allem ist man doch gut gefahren damit.

Realisten sehen nur das, was ist. Und dabei bleibt es auch. Keine Überraschungen. Kein Stress. Oder doch? Das Leben ist eigensinnig und nimmt auf Realisten keine Rücksicht. Wo Träumer irgendwie vorbereitet sind – es gibt ja nicht nur die Wunschträume, sondern auch Träume, die Negatives vorwegnehmen – da trifft es Realisten völlig unerwartet. Gutes wie weniger Gutes. Der Realist entgleist sehr leicht, hat im Grunde (denn um den Grund allen Seins kümmert er sich ja auch nicht) Angst vor dem Leben, Angst vor dem Tod, will alles planen und allem ausweichen, was nicht dazu passt. Und am Ende des Lebens greift er lieber zum Giftcocktail als sich dem Unerwarteten zu stellen. Denn selbst wenn das gesamte Leben realistisch war, der Tod ist es nicht. Realisten werden oft Ärzte, um den Tod mit alle Mitteln zu bekämpfen – und dem eigenen auszuweichen. Was natürlich auch nicht geht. Aber sie haben wenigstens heroisch gekämpft.

Da haben es Träumer leichter. Sie haben Wünsche, Sehnsüchte und andere Süchte, lesen oder schreiben Märchen und Geschichten, Aphorismen und Gedichte (deren innerpsychischen symbolischen Realismus kein Realist je begreift). Träumer leben in ihrer eigenen Welt, Realisten in einer objektiven Welt, die nicht ihre eigene ist. Träumer fliegen immer wieder weg – um immer wieder anzukommen. Realisten bleiben immer da – und kommen nie an.

Träumern wird immer wieder der Boden unter den Füßen weggezogen – und sie finden immer wieder einen neuen Boden, einen neuen Grund. Auch wenn der sich wieder in Luft auflöst. Realisten stehen fest am Boden, haben einen Standpunkt – und keinen Horizont. Träumer schauen, wo immer sie stehen, bereits zum Horizont und ahnen, das ist auch nicht das Ende.

Das Leben des Realisten ist überschaubar, berechenbar, ohne Risiko, aber flach und langweilig. Auch, oder gerade dann, wenn viel passiert. Und sogenannte Schicksalsschläge werfen ihn aus der Bahn. Das Leben des Träumers ist unberechenbar, unüberschaubar, himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt, aber abwechselnd und wiederkehrend. Daher kann ihn auch nichts überraschen. Er ist im Glück nachdenklich, im Schmerz optimistisch. Er kann Leid ertragen und Liebe geben. Und am Ende wird er sagen: Das war es. Es war, wie es war. Und auch der letzte Horizont wird ihn nicht überraschen können.

PS.: Dem Träumer ist sehr oft bewusst, dass er eine gewisse Bodenständigkeit als Gegengewicht und zum Ganz-Werden braucht. Der Realist, der alles nicht Rationale verdrängt und verleugnet, findet daher auch schwer den ergänzenden Ausgleich.

Alleinsein – mit dir sein

Will allein sein, Nähe und Umarmung;
geht nicht zusammen, oder doch?
Will das eine, auch das andre,
zieh ich dich an, stoße dich weg?
Würd‘ dich umarmen, allein nicht mehr wär,
Blieb ich allein, die Nähe mir fehlt.
Oder findet Liebe einfach den Weg?
Ist frei, wer nur für sich?
Gibt Freiheit auf, wer liebt?
Ein Gegensatz, der nur mehr quält?

Liebe verbindet, Liebe lässt sein.
Lässt mich ich sein und du wirst erst du.
Lässt Nähe bis zum Einssein,
und Alleinsein auch zu.
Beides vertieft sich, schließt sich nicht aus.
Selbst wenn das Zusammensein
nur Inseln im Zeitenmeer,
bleibt Alleinsein in der Zeit
und die Augenblicke der Umarmung
gerinnen zur Ewigkeit.

Von Tod und Leben

Mitternacht,
jeglicher Sonne bar,
selbst der Mond versteckt sich hinter düstern Wolken.
Doch die Mitte der Nacht geht vorbei.
Noch ist‘s nur Ahnen,
dass tiefes Schwarz zerrinnt in Düsterheit.
Wolkenfetzen irren am Himmel;
wenn sie Schatten werfen,
aus düsterem Schwarz ist Grau geworden.
Ein heller Streif am Horizont,
es setzt sich fort mit zögernder Macht,
was sanft begann um Mitternacht.

Ein baufällig Haus wird abgerissen,
wohnlich einst, doch nicht mehr tragbar.
Schutt und Steine erschüttern die Erde,
ringsum alles Grau und Staub.
Ein neues zu bauen wär jetzt ganz ähnlich,
Bauschutt, Gemäuer, Reste von Beton,
überdecken, was vorher Gras und Grün.
Sonne durch offene Fensterhöhlen,
Sturm, Wind und Regen johlen.
Wie wohnlich wär jetzt ein ganz kleiner Garten,
mit jungen Bäumen, zarten Knospen,
Ein Platz zum Ruhen, ein Platz zum Warten,
ausgebreitet im Mondenschein.

Weinstock entblättert, bar jeden Grüns,
scheint vertrocknet, verdorrt,
bedeckt noch mit Schnee.
Tief unten die Wurzeln vermodern
im einsamen, dunklen Hort.
Kein Licht dringt dorthin,
nur die Geschöpfe der Unterwelt
lüften und lockern das Erdreich,
der Verwesung tut‘s gut. Und dort,
wo die Wurzel schmerzlich vermodert,
reckt sich ein neuer Trieb.

DU

Das Licht, das mich erhellt
die Luft, die ich atme
das Wasser, das ich trinke
der Klang, den ich höre
das Lied, das ich singe
der Gedanke, den ich reflektiere
die Idee, die mich inspiriert
die Geschichte, die ich erlebe
das Wesen, dem ich begegne
der Duft, den ich rieche
der Geschmack, den ich schmecke
der Körper, den ich berühre
der Raum, in dem ich bin
der Hauch, den ich spüre
die Schwingung, in der ich vibriere
der Ton, der in mir klingt
das Licht, das mich durchdringt
alles, was mich eint
alles, was uns eint
Liebe, die alles verbindet
alle Trennung schwindet
alles eins
DU

L(i)eben

Erste Liebe,
zart erblüh’n
versinken im Du,
doch rastlos Unruh‘.
Aus Gründen vergeht,
von Stürmen verweht.

Enttäuscht sich finden,
in anderen Gründen,
ohne lang verweilen,
mal kürzer, mal länger,
schmerzlich bisweilen.
Mal heftig entflammt,
mal sanft nur entbrannt,
eine große Liebe,
entschwindet gebannt.

Einen Hafen gefunden,
Geborgenheit erhofft,
doch Stürme und Wellen
einfach zu oft.
Die Hafenmauer bröckelt,
die Seele zerstückelt,
Nacht wird’s im Hafen,
die Liebe geht schlafen,
versinkt in traumloser Nacht.

Der Tag beginnt um Mitternacht,
langsam wird‘s heller,
bis die Sonne mit Macht,
den Horizont erst erleuchtet,
besiegt dann die Nacht.
Ohne dich zu hören,
sprichst du mich an.
Bist du’s, die ich suchte
mein Leben lang?

Jetzt könnt‘ ich lieben,
wie noch nie im Leben,
jetzt ahn‘ ich, was ist, wie es ist.
Was Jugend langsam tastend sucht,
was Leben, Leid und Schmerz uns rät,
gärt und reift,
uns ganz ergreift,
zur Vollendung kommt,
– und doch zu spät?

Mit 17 schon sagt‘ ich,
wenn einmal ich geh‘,
wird der schönste Tag meines Lebens.
Jetzt fühl ich wie je:
in Liebe ich geh‘,
selbst wenn kein Gegenüber;
denn leben und lieben
eins nur ich seh‘.

Philosophen und Dichter

Sehen den Weg,
ohne zu gehen.
Bedenken das Leben,
ohne zu leben.
Sagen, was zu tun ist,
ohne zu tun.
Weisen auf die Lieder,
ohne zu singen.
Schreiben über die Liebe,
ohne zu lieben.
Bedenken alles,
ohne zu sein.
Drum fühlen auch Philosophen
und Dichter sich klein.

Der Unterschied ist:
Wir sind sehr knapp dran.
Und irgendwann
werden wir singen
und leben
und lieben.

Was wäre, wenn…

Liebt‘ ich dich nicht,
hätt‘ Ruhe mein Herz.
Sehnt‘ ich mich nicht,
könnt‘ ruhen in mir.
Vermisst‘ ich dich nicht,
könnt‘ allein sein mit mir.
Hätt‘ dein Gesicht nicht vor mir,
könnt‘ seh‘n ich, was hier.
Gingst mir aus dem Sinn,
könnt‘ tun, was beliebt.
Verstünd‘ ich dich nicht,
bliebst fremd mir und fern.
Wär nicht unser der Weg,
Könnt‘ geh’n ich den meinen.
Wär da nicht ein Wir,
Könnt‘ sein, wie ich bin.
Wärst du mir nicht nah,
könnt‘ geh’n meinen Weg.
Liebt‘ ich dich nicht,
– wär‘ alles nichts.

Realität und Fantasie und Wirklichkeit

Kann es sein,
dass virtuelles Eintauchen
so wirklich und real?
Dass Raum und Zeit,
äußere Ferne und innere Nähe
derart fließen in eins?

Aufsaugen aller Facetten,
Einfühlen ins gemeinsame Feld?
Ahnen, was dich ausmacht,
wo du reich bist und machst,
was dir fehlt?

Ein bald blühender Garten,
virtuell noch, doch wirklich,
so wirklich, wie etwas
nur sein kann,
was ist.

Die virtuellen Bäume
ragen in die Realität.
In ihrem Schatten
ist gut ruh ‘n und träumen,
doch bald schon –
ist‘s wirklich zu spät?

Die Zeit vergrößert
die Kluft zur Realität.
Die Brücke, zart gebaut
zwischen Träumen und Sein,
verschwindet im Nebel,
alles ergraut.

Kein begehbares Holz,
kein zu ersteigender Baum,
zarte Pflanzen suchen
mit tiefsten Wurzeln
nach rettendem Wasser
im endlosen Raum.

Emanzipation

Nach einem eher „unerfreulichen“ Gedankenaustausch auf FB kann ich nicht umhin, ein paar Gedanken loszuwerden.

Eigentlich habe ich nichts anderes verbrochen als ein Post geteilt, bei dem es darum ging, dass eine Firma statt der üblichen bulimischen Models ganz normale (und gebildete) Frauen abgebildet hat, die in meinen Augen weit besser aussahen als all die berühmten und gut bezahlten Magermodels. Meinen Kommentar fasste ich in ein kurzes Wortspiel: „Ok, Mädels, jetzt können die Models einpacken!“
Was eine meiner ältesten fb-Freundinnen derart in Rage brachte, dass sie mir verbal mit dem Arsch ins Gesicht fuhr. Das begann mit „Wir sind gestandene Frauen, und keine Mädels…“ (als hätte ich Frauen über 40 angesprochen), den Rest spar ich mir mal. Wortspiel zu ernst genommen und den Sinn des Postings überhaupt nicht verstanden. Tröstlich, dass ich sofort eine Schar wirklich gestandener Frauen an meiner Seite hatte, die das Gezeter ebenfalls deplatziert fanden. Und als ich am Ende meine Meinung kundtat, dass man so humorlos und verbissen die Emanzipation jedenfalls nicht vom Fleck kriegen wird, wurde ich kurzerhand entfriendet.

So schadet sich die Emanzipation wohl selber am meisten. In diesem Fall scheint eine massive Traumatisierung dahinter zu stehen, aber auch prinzipiell wird die Richtung der Emanzipation sehr oft verfehlt. Kann es darum gehen – bleiben wir einmal in der Wirtschaft – dass möglichst viele Frauen in männliche Domänen vordringen? Schon klar, es sollte Chancengleichheit geben. Wenn eine Frau für sich ein Ziel hat, dann sollte sie dieses unbehindert verfolgen und genauso aufsteigen können wie die Männer. Es dürfte ihr kein Hindernis in den Weg gelegt werden dürfen, nur weil sie eine Frau ist. Aber warum sieht man die paar Frauen, die das schaffen, im Nadelstreif mit todernstem Gesicht 16 Stunden am Tag arbeiten – wie die Männer? Kann es das Ziel sein, dass Frauen Männer in ihrem „Männlich Sein“ nacheifern oder sie gar überbieten (müssen)? Ist das wirklich Emanzipation? Wäre es nicht wahre Emanzipation in der Wirtschaft, den Männern zu zeigen, wie es anders geht? Dass ihre „Männlichkeit“ im Berufsleben irgendwo im Steinzeitalter steckengeblieben ist? Und dass Frauen für eine sinnvolle Arbeitswelt weit mehr beizutragen hätten, als sich Männer je träumen lassen?
Gleiche Rechte für Frauen (und das ist sicher ein absolutes Muss) kann nicht bedeuten, dass Frau ihren Mann stehen MUSS. Sie sollen jeden gewünschten Beruf ergreifen können, ohne darin behindert zu werden, aber sie sollen es um Gottes Willen nicht MÜSSEN. Wenn ich als Frau nur geachtet und beachtet werde, wenn ich den Männern in allem – ohnehin eher Negativem – gleich sein muss, dann würde ich darauf pfeifen! Emanzipation kann doch nur bedeuten, dass Frauen um ihres Frau-Seins geachtet werden und gerade deswegen.
Stattdessen reden wir von Quoten, die erfüllt werden MÜSSEN. Als ob den Frauen auch nur irgendwie geholfen wäre, wenn es 50 Prozent Kranführerinnen gibt. Auch mit 50 Prozent weiblichen Vorstandsvorsitzenden ist noch niemand gedient, vor allem nicht, wenn der Rest der Frauen diesem zweifelhaften Ideal nacheifern MUSS. Auch die Schlacht um das (ziemlich phallisch daherkommende) Binnen-I wird die Frauen nicht befreien. Das grammatikalische Geschlecht ist auch sonst nicht mit dem biologischen ident, sondern hat seine eigenen Gesetze. Das zeigt als Beispiel das Geschlecht von Sonne und Mond. Warum das gerade im Deutschen falsch ausgewiesen ist, darüber könnte man diskutieren, symbolisch ist die Sonne männlich und der Mond weiblich, daran gibt es nichts zu rütteln. Weshalb es z.B. auch im Italienischen „il sole“ und „la luna“ heißt. Aber für das richtige Geschlecht von Sonne und Mond in der deutschen Sprache auf die Barrikaden zu steigen, hat trotzdem wenig Sinn und würde nur die Energie unnötig binden.

Auch die durchaus berechtigte Gender-Diskussion gleitet meist ins Absurde ab. Klar sind Geschlechterzuschreibungen zum Teil kulturell und sozial bedingt, und darüber sollte man durchaus diskutieren. Aber deswegen das (biologische) Geschlecht abschaffen zu wollen, ist wohl das Dümmste, was das 21. Jahrhundert bislang zu bieten hat. Das scheinen allzu viele Sex und Gender durcheinander zu bringen. Man hat ja heute schon den Eindruck, wir dürfen unser Geschlecht nur mehr in der Sprache zeigen, nicht aber im wirklichen Leben, da nivellieren wir bis zur Peinlichkeit. Unisex hat ja wohl wirklich nichts mit Gender zu tun.
Tatsache ist, dass zwar vieles ins Fach überkommene Rollenbilder fällt, die zu überdenken sind, aber andererseits der Unterschied zwischen männlich und weiblich noch viel zu wenig bekannt ist. Abgesehen vom kleinen Unterschied ist auch das Gehirn geschlechtsspezifisch gebaut, der gesamte Organismus anders ausgelegt, nicht nur was die Hormone, sondern auch was z. B. die Metabolik betrifft. Die Medizin registriert erst in allerletzter Zeit, dass Medikamente bei Frauen anders wirken, oder ein Herzinfarkt bei einer Frau ganz anders ausschaut als beim Mann. Weshalb die Sterblichkeit durch Herzinfarkt bei Frauen höher ist als bei Männern, weil der Unterschied in den Symptomen zu wenig bekannt ist und der Notfall bei Frauen daher öfter übersehen wird. Es hätte also weit mehr Sinn, sich über die Unterschiede zwischen männlich und weiblich zu vertiefen, als diese nivellieren zu wollen.
Man könnte stundenlang weiterdiskutieren, aber das Prinzip sollte klar sein: Emanzipation kann nicht bedeuten, Männer und Frauen einander anzugleichen. Das wäre für beide ungesund. Es kann nur bedeuten, dass Frauen als Frauen anerkannt, gesehen und geschätzt werden, und nicht als verkappte Männer, die dann ihrerseits in die verweichlichte Rolle gedrängt werden. Dass Frauen die gleichen Rechte haben sollen, aber nicht den Männern nacheifern MÜSSEN. Dass sie jeden Beruf, den sie ergreifen möchten, auch nach Belieben ausüben können, aber nicht MÜSSEN. Eine Frau darf aber auch nicht aus ideologischen Gründen diskriminiert werden, wenn sie zuhause bleiben möchte. Sinnvolle Emanzipation sollte den Frauen nicht ihre Freiheit nehmen, sondern ihnen die Wahlfreiheit garantieren. Es kann doch nicht das Ziel sein, eine Unfreiheit durch eine andere zu ersetzen.

Was die Partnerschaft betrifft, da liegt sicher noch vieles im Argen. Von Partnerschaft kann wohl noch lange keine Rede sein. Da sitzt viel kulturell Gewachsenes noch zu tief. Da träumen viele Frauen vom „neuen Mann“, der Gefühle zeigt, der im Haushalt mitarbeitet und sich mit den Kindern beschäftigt – um dann mit den nächstbesten Macho davonzuziehen. Andere spielen nicht mehr mit und agieren selber testosterongesteuert. In der Türkei gibt es eine Untersuchung, der zufolge sogar die türkischen Macho-Männer zuhause mehrheitlich die zweite Rolle spielen. Vielleicht müssen sie deshalb wenigstens auf der Straße den Berserker rauslassen. Durchaus nicht so überraschend, trägt doch alles seinen Gegensatz in sich (Yin-Yang).
Was unterscheidet eine testosteron-getunte Frau von einer wirklich selbstbewussten Frau, die es nicht nötig hat ihre Weiblichkeit zu verleugnen? Und nur die kann das Ziel der Emanzipation sein. Man ist versucht zu sagen, nur eine Frau, die sich ihrer Weiblichkeit bewusst ist, ist auch eine starke Frau. Andererseits kann wohl nur ein Mann, der sich seiner Männlichkeit bewusst ist, eine Frau wirklich als Frau anerkennen. Aber natürlich gehört dann zur Männlichkeit mehr als das stereotype Männerbild. Es gehört wohl mehr Männlichkeit dazu, zu seinen Gefühlen zu stehen, als einem Widersacher in die Fresse zu hauen oder den Macho herauszustreichen.

Womit wir bei der Emanzipation der Männer wären. Ja, auch Männer werden diskriminiert oder diskriminieren oder disqualifizieren sich vielfach selber. Und sie werden zusätzlich noch durch die (eher schieflaufende) Emanzipation der Frauen verunsichert. Frauen müssen sich verleugnen, in der Männerwelt ihren Mann stehen, um als emanzipiert zu gelten. Männer verleugnen sich, um einer stereotypen Männerrolle zu entsprechen. Woran man immerhin sieht, dass die Frauen bereits weiter sind auf diesem Weg als die Männer. Frauen drängen aus ihrer ihnen fälschlich zugeschriebenen Rolle heraus, Männer versuchen krampfhaft, in der Stereotypie drinnen zu bleiben. Aber vielfach ist die Alternative für Frauen die Vermännlichung, die Alternative für Männer der verweichlichte Softie. Und das geht wohl beides am Sinn des Ganzen vorbei.
Irgendwie ist es daher noch Utopie, dass Frauen zu ihrem Frau-Sein stehen und auch als Frau anerkannt werden. Genauso wie es noch Utopie ist, als Mann zu seinem Mann-Sein zu stehen. Beides hat nichts mit Rollenbildern zu tun. Die „Rollen“ sind verschieden und variabel, nicht an einem Typ festzumachen. Man müsste dahin kommen, dass Mann und Frau etwas eher Abstraktes ist, dass es eher darum geht, sich zu überlegen: Was ist Mensch mit (überwiegend) weiblichen Eigenschaften? Und was ist Mensch mit (überwiegend) männlichen Eigenschaften? Im alten Männerbild hat ein Mann keine Gefühle zu haben oder zumindest nicht zu zeigen. Kein Wunder, dass viele Männer darin Analphabeten sind. Wirklich männlich wäre es aber, offen zu seinen Gefühlen zu stehen.
In Beziehungsfragen dürfte es auch nicht in Tarzanmanier darum gehen, ich Mann, du Frau… Sondern wie können wir unser Spannungsfeld so leben, dass sich Männliches und Weibliches die Balance hält. Und das ist durchaus ein fluktuierendes Feld. Der Mann muss nicht immer stark und die Frau nicht immer passiv sein, und ins Gegenteil zu fallen, wäre genauso ungesund. Es wird Situationen geben, wo er stark ist, Geborgenheit vermittelt, und sie sich anlehnen und geborgen fühlen kann. Und dann wird es auch Situationen geben, wo sich das umdreht, wo er in der Beziehung Halt sucht und sie diesen Halt geben kann. Da geht es nicht mehr darum, welche Rolle spiele ich, welche Rolle spielst du, sondern was brauche ich und was kann ich geben – und was je nach Situation verschieden sein kann.

Nur so ein paar Ideen zu einem unerschöpflichen Thema.