Falls Sie noch immer nicht begriffen haben, wie das andere Geschlecht vom Hals abwärts aussieht, buchen Sie einen Urlaub in England, dort könnte Ihre Bildungslücke endlich geschossen werden.
Dort haben sich kreative Köpfe – angeblich wirklich Köpfe – etwas erstaunlich Neues als Fernsehshow ausgedacht. Ein britischer Privatsender zeigt einem Single sechs (warum gerade sechs? Rätsel über Rätsel) Exemplare des anderen Geschlechts, und zwar – wie der Name „Naked Attraction“ schon sagt, alle sieben sind nackt. Also selbstverständlich nicht ganz nackt, das Intimste der sechs Kandidaten wird natürlich nicht gezeigt – der Kopf bleibt züchtig bedeckt. Die Sittlichkeit muss gewahrt bleiben. Ok, eine Zeitlang zumindest. Denn die verdeckende Wand rutscht nach und nach nach oben. Die Schwerkraft ist ja auch nicht mehr das, was sie einmal war.
Was bis dahin in der Show geschieht, steht in dem Artikel nicht, scheint aber auch nicht so wichtig zu sein. Da man fast alles vor Augen hat, ist es jedenfalls keine Rateshow. Irgendwie scheint es ein Sehtest zu sein. Es ist ja anzunehmen, dass die ausgewählten Exemplare nicht allzu weit vom medial suggerierten Schönheitsideal abweichen und ein „Den oder die aber schon gaaaar nicht!“ nicht passieren wird. Wäre auch eine zu leichte Aufgabe.
Vorausgesetzt wird offenbar nur, dass man weiß, wie das andere Geschlecht ausschaut. Wenn nicht, ist es auch nicht so tragisch, man hat ja sechs Exemplare vor sich. Es wird also nur um den kleinen Unterschied gehen – also nicht den zwischen den Geschlechtern, sondern den zwischen den Sechsen. Es könnte also ein Sehtest sein: Finde den Unterschied. In der nächsten Runde: Finde den passenden Unterschied. Und ganz am Schluss musst du den Kopf auch in Kauf nehmen.
Ob es vorgesehen ist zu messen oder zu tasten, ist auch nicht ganz klar. Kommt möglicherweise erst in der nächsten Sendung. Aber vielleicht müssen die Sechs einfach schildern, was sie mit dem oder der ihnen nicht sichtbaren, nur hörbaren Kandidat/in so alles anstellen würden, während er bewegungslos bleiben muss und sie es mit trockenem Humor zu nehmen hat.
Doch halt – ich habs! Dass mir das nicht gleich eingefallen ist! Wir reden doch von einem Privatsender. Natürlich geht es um das Wesentliche in der Partnerwahl. Wie bringe ich ihn/sie zum Reden, um die Stimme zu goutieren? Den Kandidaten wird schon was einfallen, die Sendung dauert ja. Man könnte vielleicht auch herausbekommen, ob der oder die auch ganz oben etwas vorzuweisen hat – aber die oberen Ausläufer werden ohnehin erst zuletzt sichtbar, so kurz vor dem Mauer-, äh Vorhangfall. Aber vielleicht ist das auch wieder nicht so wesentlich, denn es ist anzunehmen, dass sich das Niveau der Kandidaten auf beiden Seiten nicht wesentlich unterscheiden wird.
So haben dann am Ende alle das passende Genital. Naja, zumindest der/die gewählt haben Dürfende und eine/r der sechs Kandidaten. Die gehen befriedigt nachhause – oder zumindest mit Aussicht darauf. Ok, falls er/ sie nicht vorher die Flucht ergreift. Der/die wählen düfende Kandidat/in ist ja auch nackt. Die anderen fünf können dann kimmerhin Publikumsjoker spielen. Das wurde übrigens in dem Artikel auch verschwiegen: Ob die im Publikum auch nackt und vielleicht sogar attraktiv sein müssen?
Auch Privatssender haben einen Bildungsauftrag. So erläuterte eine Sprecherin des Senders – ob nackt oder angezogen, bleibt wieder unklar – dass man die Sendezeit von 22.00 Uhr sorgfältig ausgewählt habe. Das muss ein schwieriger Entscheidungsprozess gewesen sein, hoffentlich haben die Beratungskosten das Budget nicht zu sehr belastet. Ziel sei es jedenfalls, „die Regeln der sexuellen Anziehung für die Generation Tinder zu entmystifizieren“. Wie das wieder zu verstehen ist? Eine Übersetzung ins Normalsterbliche wurde nicht mitgeliefert.
So können wir nur raten: Ziel ist es wohl, sich bei der Partnerwahl nicht von Kopf, Gesicht, oder gar Hirn ablenken zu lassen. Wenn das Mode macht, wäre das sogar was für die Verständigung der Kulturen, die wir so bitter nötig haben: Wir lassen uns öffentlich nur mehr so blicken: bis zum Hals Burka, darunter „Naked Attraction“… mehr oder weniger….