„Die Kraft des Alters“

Am 16. Nov. 2017 wurde die Ausstellung „Die Kraft des Alters“ im Unteren Belvedere in Wien eröffnet. Das Interesse überstieg beinahe das Fassungsvermögen der Räumlichkeiten. Die Ausstellung ist bis 4. März 2018 zu sehen. Zu sehen sind insgesamt 174 Werke von 105 Künstlerinnen und Künstlern.

Eine Ausstellung zu diesem Thema gab es bisher noch nicht. Das Alter wird verdrängt, alte Menschen abgeschoben und versteckt. „Im Prinzip ist das Altwerden bei uns erlaubt, aber es wird nicht gerne gesehen.“ Mit diesem Zitat des Kabarettisten Dieter Hildebrandt begann die Kuratorin der Ausstellung, Sabine Fellner, ihre Einführung. Nicht Sichtbares sichtbar zu machen, war immer schon das Privileg der Kunst. Warum also nicht Künstler/innen zu diesem Thema befragen?

Belvedere_Ausstellung_Foto Johannes Stoll, c Belvedere Wien

Foto: Johannes Stoll, © Belvedere, Wien

Sichtbar wird, dass die Einstellung zum Alter sich wandelt. In früheren Zeiten und anderen Kulturen galt das Alter als ehrbar. Heute ist der weise Alte vergessen und an seine Stelle der senile Alte getreten. Von Stefan Zweig wissen wir, dass in der Zeit des Fin de Siécle Wiens Jugend als Karrierehemmnis galt. Wer es zu was bringen wollte, machte sich älter. Aber gegen sein Lebensende wunderte er sich, dass „Vierzigjährige alles tun, um wie Dreißigjährige auszusehen und Sechzigjährige wie Vierzigjährige“. Von dieser Wandlung der Einstellung leben heute die Mode- und Kosmetikindustrie sowie die Schönheitschirurgie. Auch die Medien leben von diesem Partisanenkrieg gegen das Altern, der mit „anti aging“ umschrieben wird. Das Alter wird nicht als natürlicher Lebensabschnitt gesehen, sondern  als etwas Pathologisches, das therapiert werden muss. In den USA gibt es heute allerdings bereits einen Trend gegen dieses „anti aging“. Denn Alter ist nicht nur Defizit, sondern auch Gewinn.

Tatsächlich herrscht aber noch der Jugendwahn. Schon das Erwachsenwerden ist suspekt, und das Alter beinahe nicht existent. Jedermann hat bis ins hohe Alter jugendlich auszusehen und jede Frau muss möglichst mit 40 aufhören zu altern oder wenigstens unsichtbar bleiben. Sabine Fellner stellt auch den Gegentrend, der heute schon zu beobachten ist, wenn über 70-jährige Models über den Laufsteg trippeln, infrage. Denn selbst die haben noch Jugendlichkeit auszustrahlen, womit sie genau das konterkarieren, was diese Ausstellung, wie Stella Rollig, die Generaldirektorin des Belvedere, erläutert, herausstellen will: dass Alter auch für Macht, Erfahrung, Lebensweisheit, Kontemplation, Würde, Lebenslust und Triumph über Konventionen steht.

Es ist die Kunst, die die Ästhetik des Alters und des Alterns ins Blickfeld rückt. Künstlerinnen wie Margot Pilz oder Martha Wilson stellen den Jugendwahn infrage, zeigen die Spuren des Lebens an Körpern mit Ironie und Ästhetik. Die Benachteiligung der Frau in Bezug auf das Alter wird in der Ausstellung thematisiert und infrage gestellt. Auch Frauen gewinnen im Alter an Persönlichkeit und Souveränität, bemerkt wird es meist nur bei Männern. So vermittelt ein Gemälde der amerikanischen Malerin Aleah Chapin die pralle Lebenslust im Alter: Frauen jenseits der 50, nackt, mit allen Falten, ergraut und ohne Beschönigung, aber in ihrer Stärke, Vitalität, Unabhängigkeit und Verbundenheit – eine neue Form der Schönheit jenseits des Klischees.

Belvedere_Chapin

Aleah Chapin, The Last Droplets Of The Day, 2015. Foto: Martin Url

Kunst zeigt auch die positiven Seiten des Alters: Man kann sich über frühere Zwänge hinwegsetzen, sich dem Wesentlichen zuwenden, Qualitäten entwickeln, die einem Jüngeren noch verborgen sind. Sexualität im Alter ist den Betroffenen kein Tabuthema, Defizite – besonders männliche – können durch eine neue Intensität ausgeglichen werden. Johannes Grützkes „Vier alte Männer von einer Frau durchwoben“ zeigen einen möglichen „Ausweg“, sich mit einer jungen Frau zu verjüngen, ein Weg, den umgekehrt auch selbstbewusste Frauen immer mehr beschreiten.

Belvedere_HeidiBleibt die Schattenseite des Alterns, das Thema Krankheit, das natürlich im Alter brisanter wird und sogar von der Kunst eher scheu abgehandelt wird. Hier sticht Heidi Harsiebers „X-Ray“ hervor, die den zur Strahlentherapie nach Brustkrebs vorbereiteten Körper in Kontrast zur sinnlichen Darstellung einer Hexenverbrennung stellt. Womit die Verbrennung und Strahlung tatsächlich in eine Kraft des Alters münden kann.

Heidi Harsieber, x-ray, 2001.
© Bildrecht, Wien, 2017

Das wirkt weit expressiver und explosiver als die Beschäftigung mit der immer noch ästhetischen Vergänglichkeit durch Egon Schiele , Gustav Klimt, Birgit Jürgenssen, Roman Opalka. Ein anderer Kontrast bildet das stille Leiden in Regina Hüglis Porträtserien von Demenzkranken.

Belvedere_TennesonDen Trend zur Ausmerzung der Spuren des Alterns nimmt Martha Wilson aufs Korn, indem sie Gesichter zeigt, die durch Schönheitsoperationen „optimiert“wurden, wodurch der Charakter eines Menschen, seine Identität, Individualität und Lebendigkeit gänzlich verloren geht. Die angebliche Schönheit besteht in einer Auslöschung des Lebendigen.

Das Gegenkonzept stellt Joyce Tenneson vor, indem sie in ihren Fotoarbeiten die Attraktivität und Würde des Alters darstellt.

Joyce Tenneson, Christine Lee, 2002. © Joyce Tenneson

 

Ein anderes Thema ist die zunehmende Einsamkeit im Alter. Auch die hat zwei Seiten: das zunehmende Leiden an der Einsamkeit und das Bedürfnis nach Einsamkeit (z.B. Elsa Spitzers „Frau mit Schirm“). Aber auch Verbundenheit und Beziehung ist – vielleicht sogar intensiver – immer noch Thema (Harry Weber: „Paar im Altersheim Lainz“), auch generationenüberreifend (Christine Turnauer: „Sybil Graburn und und Linda Mcnally, Mutter und Tochter“, Joseph Floch: „Frau Weiss und ihre Töchter Liese und Lene“, Claudia Schumann: display (ROSA)“).

Das Altern ist so vielschichtig wie das Menschsein und so widersprüchlich wie das Leben. Pablo Picasso (vertreten durch „Tableau de famille“) schaffte es, die Spannung des Themas in einem einzigen Satz zu kristallisieren: Man müsse schon sehr lange leben, „um jung zu werden”.

 

„Die Kraft des Alters“

bis 4. März 2018, Unteres Belvedere in Wien, täglich 10.00 bis 18.00 Uhr, freitags 10.00 bis 21.00 Uhr.

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