
Eine beeindruckende Ausstellung in der Galerie Gerersdorfer, Wien, die noch bis 5. Juni 2019 zu sehen ist. Zeichnungen, die sich dem Betrachter in ihrer „Einfachheit“ erst beim tieferen Hinsehen erschließen, dann aber in Meditation münden können. Der Begriff „Interkulturelle Psychologie“ wäre eine gute Beschreibung dessen, was die Bilder aussagen.
Anna Stangl ist eine Künstlerin, die sich nicht aufdrängt, aber mehr als andere und sehr zielbewusst einen Dialog mit dem Betrachter führt. Ihre Zeichnungen sind nur auf den ersten Blick klar und einfach; wenn man sich näher darauf einlässt, lassen sie eine Tiefe erahnen, die vieles andeutet und vieles offen lässt. Man ahnt, dass die Künstlerin etwas darstellen will, das man nicht darstellen kann, aber eine Annäherung erlaubt, die der Betrachter weiterführen kann, wenn er sich darauf einlässt. Ein sehr eindrucksvolles Porträt der Künstlerin findet sich auf der Facebook-Seite der Galerie Gerersdorfer.
Kunst und Psyche
Zeichnen ist für Anna Stangl Lebensbewältigung, es gibt ihr Struktur; Dinge werden durch das Zeichnen klarer, wie durch Nachdenken oder Schreiben. Die Motive entstehen meist nicht aus der bewussten Vorstellung heraus, sondern aus sich, von innen, aus dem Unbewussten heraus. Der Schlaf ist ein wichtiges Thema, „ein Zustand, wo man ganz bei sich ist, und auch ins Unbewusste geht. Der Schlaf ist mit Träumen verbunden, und Träume sind eine der besten Quellen für meine Arbeit.“

Kunst kommt von innen, bei Anna Stangl ganz bewusst. „Im Traum oder im Tagtraum kommen mir mehr Ideen als wenn ich versuche, konzentriert eine Idee zu finden. In diesem sehr gelösten Zustand kommt meistens etwas hoch, wo ich mir denke, ah jetzt verstehe ich plötzlich, jetzt erklärt sich was. Oder es sind auch oft Geheimnisse im Traum, die mich dann interessieren, und wo ich mir denke, woher kommt das, wie kommt man nur drauf? Den Tagtraum versuche ich manchmal schon bewusst herbeizuführen, indem ich mich in die Hängematte leg und so einen kleinen Tagtraum einliege in meinem Atelier.“ Man kann in ihren Zeichnungen erspüren dieses Eingebunden sein und trotzdem ganz bei sich sein.
Verständlich, dass das Zeichnen ein Prozess ist, der sich über Wochen hinziehen kann. Der Zeit und auch Pausen braucht. Jede Zeichnung quasi eine Geburt von etwas Neuem. Was dabei zum Vorschein kommt, sind sehr intime und persönliche Geschichten. „Oft werden auch starke Gefühle gezeigt, und die größte Gefahr ist für mich dann immer die Bedrohung der Peinlichkeit oder dass es zu sentimental wird, davor fürchte ich mich selber oft.“ Der Betrachter versteht und ist dankbar für diese Offenheit, die alles andere als peinlich oder sentimental ist.
Anima und der Dialog mit dem Männlichen
Die Künstlerin taucht in ihre Seelenwelt, in ihr Inneres, in die Welt der Weiblichkeit. Es ist ein Weg, der im Konkreten beginnt, der von außen nach innen führt. „Man geht wahrscheinlich immer vom eigenen Körper aus, weil ich den am besten kenne und verstehe.“ Zentrales Thema ist daher der weibliche Körper, insofern er etwas Seelisches ausdrückt.

Sie stellt die Haltungen oft nach und weiß dann ganz genau, wie man sich in dieser Stellung fühlt. „…und dann treff ich, wenn ich Glück hab, auch die Stimmung, die das Bild ausmacht.“ Die Haltungen sind wie Mudras im Yoga. Zum ersten Mal klingt Asiatisches an, wenn auch nicht vordergründig.

In Anna Stangls Zeichnungen dominiert das Weibliche. Sie stellt viel öfter Frauen dar als Männer, und im Video erzählt sie, dass Männer sich oft ein bisschen ausgeschlossen fühlen aus dieser Welt. Zu Unrecht, denn es ist die Welt der Anima (der Analytischen Psychologie von C.G: Jung), des Weiblichen im Mann. Die Seele ist gegengeschlechtlich, und Männer können in den Zeichnungen ihre eigene Seelenwelt, ihre Anima erkennen. Man kann durchaus sagen, dass die Künstlerin durch diese ihre weibliche Welt einen Dialog mit den Männern führt. Es ist mehr der liebliche Aspekt der Anima, nicht die tiefere Oktave, die es natürlich auch gibt. Insofern haben ihre Bilder sogar einen heilenden Effekt.
Schattenwelt
Das Weibliche in der Frau wie im Mann hat natürlich auch einen Schattenaspekt. Der drückt sich im zweiten großen Themenbereich, den Tieren aus. Wieder zeigt sich ein Doppelaspekt, das Animalische kann sanft oder bedrohlich sein. In Anna Stangls Bildern ist er selten bedrohlich, meist spielerisch. Die Schattenwelt ist integriert, eine Frucht des Zeichnens als Lebensbewältigung. So ist der Umgang mit Tiersymbolen auch meist harmonisch.

Wie selbstverständlich haben viele Bilder auch eine erotische Komponente. „Oft geht es da nur um eine Sehnsucht und eine Vorstellung. Das ist einfach eine schöne Seite des Lebens. … Es passiert von selbst, dass das immer wieder auch in den Bildern ein bisschen vorkommt.“ Da geht es dann um Zweisamkeit und Harmonie der Geschlechter, nicht um Macht, sondern um Ergänzung. Selbst das Animalische ist schon vermenschlicht. Auch die Tiere sind damit Teil dieser Bildersprache der Beziehung. Sie sind eigentlich Menschen. „Aber oft ist es einfacher, weil es dann mehr offen lässt, eine Beziehung mit einem Tier und einem Menschen darzustellen.“


Früher waren es oft Pferde, heute mehr Vögel, Hasen, Bären und Füchse. Wie Märchenfiguren, die verschiedene Eigenschaften darstellen. „Ich hab auch eine Zeit in Japan gelebt. Dort hat der Fuchs eine große Bedeutung…. Der haust im Wald und frisst die Kinder und die Frauen, aber er ist auch ein Schutzgeist. Das hat mir gut gefallen.“
Interkulturelles
Womit wir von der Psychologie her direkt beim Interkulturellen gelandet wären. Wie erwähnt, sind es keine asiatischen Motive, die sich in dem Vordergrund drängen würden. Die Biografie der Künstlerin ist durchzogen von Reisen in allen Kontinenten. Dabei wäre es einfacher aufzuzählen, wo sie nicht war. Ihre Kunst atmet eine globale Perspektive, nimmt „Fremdes“ auf, assimiliert es und prägt den immer eigenständigen Stil. Die Ambivalenz oder Komplementarität (Yin/Yang) ist allgegenwärtig. Das Männliche im Weiblichen (und umgekehrt), das Sanfte und Bedrohliche im Animalischen, das Eingebunden-Sein im Geflecht eines großen Ganzen. Man darf vermuten, dass die Künstlerin in vielen Welt- und Menschenbildern zuhause ist.
Heimat und inneres Kind
Dr. Margit Zuckriegl wies bei der Eröffnung der Ausstellung in der Galerie Gerersdorfer darauf hin, dass die Frauen in Anna Stangls Zeichnungen kein Alter haben, zeitlos sind. Im Porträt-Video erklärt die Künstlerin, dass sie sich schon als Kind stundenlang mit irgendwelchem kleinen Zeug beschäftigt habe. „Das war für mich der Inbegriff von Glücklich Sein. Das wollte ich eigentlich nie aufgeben. … Das war immer mein großer Wunsch, dass das so weitergeht. Mit großer Zähigkeit gelingt es dann auch, das zu verwirklichen. Was Besseres kann gar nicht sein.“

So atmen auch ihre Zeichnungen dieses Glücklich-Sein des inneren Kindes, das sich die Künstlerin im Erwachsen-Werden und Erwachsen-Sein eindeutig bewahrt hat. Es war sicher ein langer Prozess, der sie durch viele Länder und viele innere Stationen dahin geführt hat, wo sie jetzt ist. Das Ergebnis ist eine fühlbare Harmonie von innen und außen, was sie in einem sehr schönen Satz ausdrückt: „Es gibt so eine ganz starke Sehnsucht nach Schönheit und Harmonie bei mir, was auch eine Gefahr ist, das weiß ich schon, aber es fließen dann manchmal irritierende Elemente von selber rein. Und das ist auch gut so. Irgendein schwarzer Kopf oder sonst was. Aber es gibt diese starke Sehnsucht nach der Schönheit und der Perfektion.“

Das taoistische Motiv der Monade, des dunklen Punktes im Hellen und umgekehrt, was zusammen erst so etwas wie die Harmonie ergibt. So irritieren die irritierenden Momente auch nicht, sondern sie gehören zum harmonischen Ganzen dazu.
© R. Harsieber





