Männlicher Narzissmus in einer narzisstischen Zeit

Wir leben in einer pubertären, narzisstischen Zeit, aber es gibt einen Weg aus der Misere.

Wozu ein Buch über männliche Narzissmus? Schon weil es von der Verteilung her eine eher männliche Störung ist. Aber auch, weil unsere Zeit narzisstisch geprägt ist und die Diskussion um eine patriarchale Gesellschaft und  die Emanzipation der Frau nicht um dieses Thema herumkommt. Und weil jeder zumindest etwas davon in sich trägt. Die „definierte narzisstische Persönlichkeitsstörung als Vorführmodell, um den alltäglichen Narzissmus des Herrn Jedermann besser zu verstehen“.

Jeder, der sich interessiert oder es wagt, ein Buch auch über schwerste Neurosen zu lesen, ist dankbar, dass sie ihn nicht betreffen, und erstaunt darüber, wieviel davon er selbst in sich trägt. So ist auch niemand frei von narzisstischen Elementen, sie helfen ja ungemein, etwa in der Arbeitswelt. Da ist die Empathielosigkeit des Narzissten nahezu Voraussetzung für eine Karriere, während man mit Empathie nicht weit kommen wird.

Aber zuerst die Basics: Der Narzisst wird oft mit dem Perfektionisten verwechselt, der auch um sich selbst kreist. Die Unterscheidung ist relativ einfach: Der Perfektionist  hat Angst, nicht perfekt zu sein und daher nicht wertgeschätzt zu werden. Der Narzisst ist völlig frei von Angst, ist er doch von seiner Besonderheit überzeugt. Er hat kein Problem mit der Angst, sondern mit der Liebe. Das scheint oberflächlich nicht so, hat er doch als Charismatiker Liebschaften en masse. Aber er ist nur an sich selbst interessiert, nie an den Partnerinnen. Die sind Objekte, solange sie ihm nützen und ihn bewundern. Eine Frau als Person auf Augenhöhe zu sehen, ist ihm unmöglich. Er bleibt in sich selbst gefangen. Womit wir bei der zentralen Aussage wären: Der Narzissmus – auch der Narzissmus der Gesellschaft – ist ein Gefängnis, aus dem schwer herauszukommen ist.

Es gibt in der Systematik des Genetikers und Psychiaters Robert Cloninger  vier Dimensionen des Temperaments (klassisch: Choleriker, Sanguiniker, Melancholiker, Phlegmatiker), die angeboren sind, die phylogenetisch älteren Hirnareale abbilden und nichts mit Persönlichkeitsstörungen zu tun haben, und drei Dimensionen des Charakters (Selbstkontrolle, Kooperationsfähigkeit, Selbsttranszendenz), die den jüngeren Hirnarealen (frontaler, temporaler und parietaler Neokortex) entsprechen. Letztere sind die Problemzonen des Narzissten. (In der Gesellschaft ginge es dabei um die Legislative, das Sozialsystem und den Sinn des Staates).

Beim Narzissten sind sie ausgeprägt als Selbstidealisierung, Abwertung der anderen und Unfähigkeit zur Selbsttranszendenz. Damit bleibt der Narzisst in sich selbst gefangen. Ein überzogenes Selbstwertgefühl, oft als „Grandiosität“ bezeichnet, führt folgerichtig zur Abwertung der anderen, die ihm natürlich nicht das Wasser reichen können. Und beides macht die Selbsttranszendenz, das über sich Hinausgehen, sich in einem größeren Ganzen selbst finden, völlig unmöglich. So ist der Narzisst beziehungsunfähig, behandelt andere als Objekte, sieht in seinen Partnerinnen bloß Gebrauchsgegenstände, die ihn zu bewundern haben, und geht über Leichen, wenn sie ihm nicht mehr nützen oder langweilig werden.

Nebenbei erfährt man in dem Buch einiges über Kindererziehung, worin Bonelli eine der Ursachen festmacht. Ein Buchkapitel nennt sich bezeichnenderweise „His Majesty the Baby“, ein anderes „Vernachlässigung durch Verwöhnung“. Was hier gefördert wird, ist damit klar, und die bei amerikanischen Studenten erhobenen Narzissmuswerte stiegen zwischen 1979 und 2006 um 30 Prozent an. Wie schon erwähnt, legt das Buch nahe, sich auch über den Wandel in der Gesellschaft Gedanken zu machen, geht doch der Anstieg der Narzissmuswerte einher mit einer ebensolchen Zunahme an Selbstbewusstsein, Selbstwertgefühl, Durchsetzungskraft und Extraversion. Sind das doch die Garanten für „Erfolg“ z.B. in der Wirtschaft: übertriebenes Selbstwertgefühl, Ellbogentaktik und moderne Sklavenhaltung.

Beinahe als Fazit könnte man anführen, dass ein überhöhtes Selbstwertgefühl auf einen Selbstbetrug hinausläuft. Tatsächlich lebt der Narzisst in einer imaginären Welt, die mit der Wirklichkeit wenig zu tun hat. Psychische Gesundheit wäre dagegen in einem Selbstbild, das möglichst der Realität entspricht. Das gilt natürlich auch für die Gesellschaft als Ganze, könnte man den Gedanken weiterspinnen. Managementberater, Life-Coaches etc. schwärmen heute von grenzenlosem Erfolg, Macht, Brillanz, Schönheit oder idealer Liebe – und genau diese Fantasien finden sich unter den klinischen Symptomen des Narzissmus. Der amerikanische Historiker und Sozialkritiker Christopher Lasch spricht nicht ohne Grund von einem „Zeitalter des Narzissmus“, die Narzissmusexpertin Jean Twenge sogar von einer „Narzissmus-Epidemie“.

Noch ein Themengebiet aus dem umfassenden Fundus des Buches: die (fehlende) Selbsttranszendenz (des Narzissten). Bonelli zitiert Viktor Frankl: „Der grundlegende anthropologische Tatbestand, dass Menschsein immer über sich selbst hinaus auf etwas verweist, das nicht wieder es selbst ist – auf etwas oder jemanden: auf einen Sinn. Und nur in dem Maße, in dem der Mensch solcherart sich selbst transzendiert, verwirklicht er auch sich selbst: im Dienst an einer Sache. Ganz er selbst wird er, wo er sich selbst – übersieht und vergisst.“ Dieses für das Menschsein Grundlegende fehlt dem Narzissten völlig, er bleibt im Gefängnis seiner Selbstimmanenz. Daher schließt sich für den Psychiater Wilhelm Stekel Narzissmus und Religiosität aus. Narzissten sind auch meist Atheisten, weil sie gar keinen „Gott“ neben sich ertragen könnten. (Es gibt in dem Buch auch eine Kapitel über „Narzissmus in den Weltreligionen“, bzw. deren Stellung dazu.)

Trotz aller Verflechtungen, die sich daraus ergeben, ist der Narzissmus heilbar. Aus der Empathielosigkeit und Beziehungsunfähigkeit ist zu schließen, dass es nur einen Weg aus der Misere gibt: die Liebe. Verliebt sich der Narzisst einmal wirklich, ist er kein Narzisst mehr. Das passiert manchmal sogar, die anderen – sofern sie darunter leiden, und das tun sehr viele – gehen zum Therapeuten und/oder müssen an sich arbeiten.

Fazit: Ein lesenswertes Buch für Narzissten und solche, die es nicht werden wollen, und für alle, die den Narzissten in sich näher kennenlernen wollen. Das Buch ist außerdem gespickt mit Fallbeispielen, in denen anschaulich die Probleme des Narzissten sichtbar werden.

 

Maennlicher Narzissmus von Raphael Bonelli
Maennlicher Narzissmus von Raphael Bonelli

 

Raphael Bonelli

Männlicher Narzissmus

Das Drama der Liebe, die um sich selbst kreist

Kösel Verlag 2016, 272 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag

ISBN 978-3-466-34639-4

€ 19,99 [D]
€ 20,60 [A] | CHF 26,90*
(* empf. VK-Preis)

Beschränkung oder ohne Grenzen?

Kann nicht allein
für sich bloß sein
will sich in Beziehung sehn
zusammen mit ihm nur gehen.

Doch der hat Angst vor Nähe
seine Freiheit schwinden sähe
abhängig könnt er werden
sein Ziel verfehlen hier auf Erden.

Sie stößt so oft an seine Grenzen
statt sich mit jemand zu ergänzen
der beharrt drauf, Teil zu bleiben
am Ganzen könnt sein Ego leiden.

Zuneigung will sie geben, nehmen
in Liebe ans ersehnte Ziel sie kämen
als Abhängigkeit wird’s interpretiert
ihre Liebe damit bitter negiert.

Sie legt ihr Herz ganz offen
auf Vertrauen will nur hoffen
will in neue Welten Einsicht geben
er sieht nur erstickt sein bisherig Leben.

Das Kraftfeld der Liebe könnt Flügel verleihn
er sieht diese Kraft nur von außen gedeihn
Baut Mauern auf in tiefer Nacht
Liebe hat über ihn nicht die geringste Macht.

Kein Austausch über Mauern hinweg
Vertrauen gesucht, doch es ist weg
nach Zuwendung sie sich einsam sehnt
keine Resonanz, ein Abgrund gähnt.

Könnt liebend sich mit ihm ergänzen
kennt Freiheit, die auch sie braucht, keine Grenzen
Liebe ist weit mehr als Du und Ich
bereichert beide, dich und mich.

Wie kannst du Liebe als Beschränkung sehn?
Zusammen über alle Grenzen gehen
eröffnet nie erahnte Räume
und es verblassen alle Zäune.

Liebe beschränkt nicht und wird nicht gemacht
ist einfach da, ganz sacht und mit Macht
Liebe ist Nähe, die öffnet unendliche Weiten
überbrückt Distanzen und jegliche Zeiten.

Liebe will Nähe, doch nicht Bindung
ständig neu und ohne Endung
Liebe lässt frei und dich sein, wie du bist
Liebe ist unendlich, weil sie einfach nur ist.

Du bist für mich alles, wenn ich dich liebe,
von Engelschören bis zum wildesten Triebe
ohne Grund, ohne Beweis, nur gemeinsam wandere
nur ein untrüglich Zeichen: die Welt ist eine andere.

Liebe ist paradox, sie zieht an und lässt frei
sieht alle Fehler, doch bleiben sei einerlei
wenn Vereinnahmung, Beschränkung ihn irritiert
dann hat, was Liebe ist, er einfach nicht kapiert!

liebe frei

Liebt ich dich,
wärst nicht gebunden.
Einheit einfach IST,
nicht zu wirken,
bloß zu erkunden.

Legt dich in Ketten,
müsst ein anderer dich retten.
Was ist, passiert,
nur was nicht ist,
muss man zwingen.
Vergeblich
mit dem Schicksal ringen.

Hielt ich dich
in meinen Armen,
könntest fliegen,
wohin du willst.
Würden kreisen umeinander
wie Planeten,
jeder in eigener Bahn,
doch bezogen aufeinander.

Wär deine Welt die meine,
könnt dich verstehen,
ließe dich gehen,
wohin du willst.
Wo immer du bist,
wär meine Welt,
weil jeder Schritt
vom Wir beseelt.

Liebt ich dich,
wir wären einsam,
Nichts anderes Bedeutung hätt.
Doch wir hätten einfach alles,
nichts, was irgend uns gefehlt.
Du wärst Morgen, Mittag, Abend
Sonne, Mond und Stern am Himmel,
Platons Höhle, Feuer, Aufstieg und Gestirn.

Liebt ich dich,
wär der Moment der größten Bindung
ineinander verschmelzen,
sich selbst vergessen,
der Moment größtmöglicher Freiheit,
würden ungebunden fliegen
zusammen in die Ewigkeit.

Höhenflug

Lange Zeit,
doch keine Ewigkeit,
Freud und Leid mit dir geteilt.
Warst verzweifelt, deprimiert
hab mit dir gelitten,
hattest Freude du inmitten
hab mit dir ich jubiliert.
War mit dir in allen Tiefen
freute mich
wenn Höhen riefen.
Tief im Dunkeln festgebunden,
schwebt in Höhen
ungebunden.
Segelte frei über allen Wolken
ging’s dir gut,
war wie gebannt in Ketten,
fehlte dir der Mut.

Warst freudig du,
versucht ich zu beteuern,
warst deprimiert,
so wollt ich gegensteuern.
Wie auch immer –
ganz verwoben.
Bin nun ganz unten,
Du – zu meiner Freude
oben!

Im Augenblick

Da stehen sie nun, er angelehnt an irgendwas,
sie vor ihm, ungläubig lächelnd.
Er nimmt sie an den Schultern,
zieht sanft sie heran.
Hast du nicht einmal gefragt,
warum ich nicht meditiere?
Meine Übung ist Leben.
Nimm den Besen und kehre den Hof.
Wenn du nur tust, was du tust,
alles zu geben,
wird Zeit zur Ewigkeit.

Aber jetzt, meine Liebe,
sind wir bei der schönsten Übung unseres Lebens.
Denk nicht, was war,
nicht was nicht sein darf.
Zeit des Gebens.
Wir steigen nicht zweimal in denselben Fluss!
Denk nicht, was werden soll,
was nicht werden darf,
weil anderes wichtiger ist,
und anderen gefällt.
Nichts ist wichtiger als das, was ist.
Wir haben so wenig Zeit.
Wenn wir nur diesen Augenblick leben,
haben wir alle Zeit dieser Welt.

Er legt seine Arme um sie.
Wange an Wange.
Dann blicken sie sich in die Augen.
Nur du, und sonst nichts,
versinken im Sein.
Nicht mal ich,
denn da ist Größeres.
Einfach nur Da-Sein.
Wie in Zeitlupe nähern sich die Gesichter,
finden sich ihre Lippen,
die Welt versinkt,
ihre Seelen sind schon eins.

 

Alleinsein – mit dir sein

Will allein sein, Nähe und Umarmung;
geht nicht zusammen, oder doch?
Will das eine, auch das andre,
zieh ich dich an, stoße dich weg?
Würd‘ dich umarmen, allein nicht mehr wär,
Blieb ich allein, die Nähe mir fehlt.
Oder findet Liebe einfach den Weg?
Ist frei, wer nur für sich?
Gibt Freiheit auf, wer liebt?
Ein Gegensatz, der nur mehr quält?

Liebe verbindet, Liebe lässt sein.
Lässt mich ich sein und du wirst erst du.
Lässt Nähe bis zum Einssein,
und Alleinsein auch zu.
Beides vertieft sich, schließt sich nicht aus.
Selbst wenn das Zusammensein
nur Inseln im Zeitenmeer,
bleibt Alleinsein in der Zeit
und die Augenblicke der Umarmung
gerinnen zur Ewigkeit.

Philosophen und Dichter

Sehen den Weg,
ohne zu gehen.
Bedenken das Leben,
ohne zu leben.
Sagen, was zu tun ist,
ohne zu tun.
Weisen auf die Lieder,
ohne zu singen.
Schreiben über die Liebe,
ohne zu lieben.
Bedenken alles,
ohne zu sein.
Drum fühlen auch Philosophen
und Dichter sich klein.

Der Unterschied ist:
Wir sind sehr knapp dran.
Und irgendwann
werden wir singen
und leben
und lieben.

Was wäre, wenn…

Liebt‘ ich dich nicht,
hätt‘ Ruhe mein Herz.
Sehnt‘ ich mich nicht,
könnt‘ ruhen in mir.
Vermisst‘ ich dich nicht,
könnt‘ allein sein mit mir.
Hätt‘ dein Gesicht nicht vor mir,
könnt‘ seh‘n ich, was hier.
Gingst mir aus dem Sinn,
könnt‘ tun, was beliebt.
Verstünd‘ ich dich nicht,
bliebst fremd mir und fern.
Wär nicht unser der Weg,
Könnt‘ geh’n ich den meinen.
Wär da nicht ein Wir,
Könnt‘ sein, wie ich bin.
Wärst du mir nicht nah,
könnt‘ geh’n meinen Weg.
Liebt‘ ich dich nicht,
– wär‘ alles nichts.

Realität und Fantasie und Wirklichkeit

Kann es sein,
dass virtuelles Eintauchen
so wirklich und real?
Dass Raum und Zeit,
äußere Ferne und innere Nähe
derart fließen in eins?

Aufsaugen aller Facetten,
Einfühlen ins gemeinsame Feld?
Ahnen, was dich ausmacht,
wo du reich bist und machst,
was dir fehlt?

Ein bald blühender Garten,
virtuell noch, doch wirklich,
so wirklich, wie etwas
nur sein kann,
was ist.

Die virtuellen Bäume
ragen in die Realität.
In ihrem Schatten
ist gut ruh ‘n und träumen,
doch bald schon –
ist‘s wirklich zu spät?

Die Zeit vergrößert
die Kluft zur Realität.
Die Brücke, zart gebaut
zwischen Träumen und Sein,
verschwindet im Nebel,
alles ergraut.

Kein begehbares Holz,
kein zu ersteigender Baum,
zarte Pflanzen suchen
mit tiefsten Wurzeln
nach rettendem Wasser
im endlosen Raum.

Emanzipation

Nach einem eher „unerfreulichen“ Gedankenaustausch auf FB kann ich nicht umhin, ein paar Gedanken loszuwerden.

Eigentlich habe ich nichts anderes verbrochen als ein Post geteilt, bei dem es darum ging, dass eine Firma statt der üblichen bulimischen Models ganz normale (und gebildete) Frauen abgebildet hat, die in meinen Augen weit besser aussahen als all die berühmten und gut bezahlten Magermodels. Meinen Kommentar fasste ich in ein kurzes Wortspiel: „Ok, Mädels, jetzt können die Models einpacken!“
Was eine meiner ältesten fb-Freundinnen derart in Rage brachte, dass sie mir verbal mit dem Arsch ins Gesicht fuhr. Das begann mit „Wir sind gestandene Frauen, und keine Mädels…“ (als hätte ich Frauen über 40 angesprochen), den Rest spar ich mir mal. Wortspiel zu ernst genommen und den Sinn des Postings überhaupt nicht verstanden. Tröstlich, dass ich sofort eine Schar wirklich gestandener Frauen an meiner Seite hatte, die das Gezeter ebenfalls deplatziert fanden. Und als ich am Ende meine Meinung kundtat, dass man so humorlos und verbissen die Emanzipation jedenfalls nicht vom Fleck kriegen wird, wurde ich kurzerhand entfriendet.

So schadet sich die Emanzipation wohl selber am meisten. In diesem Fall scheint eine massive Traumatisierung dahinter zu stehen, aber auch prinzipiell wird die Richtung der Emanzipation sehr oft verfehlt. Kann es darum gehen – bleiben wir einmal in der Wirtschaft – dass möglichst viele Frauen in männliche Domänen vordringen? Schon klar, es sollte Chancengleichheit geben. Wenn eine Frau für sich ein Ziel hat, dann sollte sie dieses unbehindert verfolgen und genauso aufsteigen können wie die Männer. Es dürfte ihr kein Hindernis in den Weg gelegt werden dürfen, nur weil sie eine Frau ist. Aber warum sieht man die paar Frauen, die das schaffen, im Nadelstreif mit todernstem Gesicht 16 Stunden am Tag arbeiten – wie die Männer? Kann es das Ziel sein, dass Frauen Männer in ihrem „Männlich Sein“ nacheifern oder sie gar überbieten (müssen)? Ist das wirklich Emanzipation? Wäre es nicht wahre Emanzipation in der Wirtschaft, den Männern zu zeigen, wie es anders geht? Dass ihre „Männlichkeit“ im Berufsleben irgendwo im Steinzeitalter steckengeblieben ist? Und dass Frauen für eine sinnvolle Arbeitswelt weit mehr beizutragen hätten, als sich Männer je träumen lassen?
Gleiche Rechte für Frauen (und das ist sicher ein absolutes Muss) kann nicht bedeuten, dass Frau ihren Mann stehen MUSS. Sie sollen jeden gewünschten Beruf ergreifen können, ohne darin behindert zu werden, aber sie sollen es um Gottes Willen nicht MÜSSEN. Wenn ich als Frau nur geachtet und beachtet werde, wenn ich den Männern in allem – ohnehin eher Negativem – gleich sein muss, dann würde ich darauf pfeifen! Emanzipation kann doch nur bedeuten, dass Frauen um ihres Frau-Seins geachtet werden und gerade deswegen.
Stattdessen reden wir von Quoten, die erfüllt werden MÜSSEN. Als ob den Frauen auch nur irgendwie geholfen wäre, wenn es 50 Prozent Kranführerinnen gibt. Auch mit 50 Prozent weiblichen Vorstandsvorsitzenden ist noch niemand gedient, vor allem nicht, wenn der Rest der Frauen diesem zweifelhaften Ideal nacheifern MUSS. Auch die Schlacht um das (ziemlich phallisch daherkommende) Binnen-I wird die Frauen nicht befreien. Das grammatikalische Geschlecht ist auch sonst nicht mit dem biologischen ident, sondern hat seine eigenen Gesetze. Das zeigt als Beispiel das Geschlecht von Sonne und Mond. Warum das gerade im Deutschen falsch ausgewiesen ist, darüber könnte man diskutieren, symbolisch ist die Sonne männlich und der Mond weiblich, daran gibt es nichts zu rütteln. Weshalb es z.B. auch im Italienischen „il sole“ und „la luna“ heißt. Aber für das richtige Geschlecht von Sonne und Mond in der deutschen Sprache auf die Barrikaden zu steigen, hat trotzdem wenig Sinn und würde nur die Energie unnötig binden.

Auch die durchaus berechtigte Gender-Diskussion gleitet meist ins Absurde ab. Klar sind Geschlechterzuschreibungen zum Teil kulturell und sozial bedingt, und darüber sollte man durchaus diskutieren. Aber deswegen das (biologische) Geschlecht abschaffen zu wollen, ist wohl das Dümmste, was das 21. Jahrhundert bislang zu bieten hat. Das scheinen allzu viele Sex und Gender durcheinander zu bringen. Man hat ja heute schon den Eindruck, wir dürfen unser Geschlecht nur mehr in der Sprache zeigen, nicht aber im wirklichen Leben, da nivellieren wir bis zur Peinlichkeit. Unisex hat ja wohl wirklich nichts mit Gender zu tun.
Tatsache ist, dass zwar vieles ins Fach überkommene Rollenbilder fällt, die zu überdenken sind, aber andererseits der Unterschied zwischen männlich und weiblich noch viel zu wenig bekannt ist. Abgesehen vom kleinen Unterschied ist auch das Gehirn geschlechtsspezifisch gebaut, der gesamte Organismus anders ausgelegt, nicht nur was die Hormone, sondern auch was z. B. die Metabolik betrifft. Die Medizin registriert erst in allerletzter Zeit, dass Medikamente bei Frauen anders wirken, oder ein Herzinfarkt bei einer Frau ganz anders ausschaut als beim Mann. Weshalb die Sterblichkeit durch Herzinfarkt bei Frauen höher ist als bei Männern, weil der Unterschied in den Symptomen zu wenig bekannt ist und der Notfall bei Frauen daher öfter übersehen wird. Es hätte also weit mehr Sinn, sich über die Unterschiede zwischen männlich und weiblich zu vertiefen, als diese nivellieren zu wollen.
Man könnte stundenlang weiterdiskutieren, aber das Prinzip sollte klar sein: Emanzipation kann nicht bedeuten, Männer und Frauen einander anzugleichen. Das wäre für beide ungesund. Es kann nur bedeuten, dass Frauen als Frauen anerkannt, gesehen und geschätzt werden, und nicht als verkappte Männer, die dann ihrerseits in die verweichlichte Rolle gedrängt werden. Dass Frauen die gleichen Rechte haben sollen, aber nicht den Männern nacheifern MÜSSEN. Dass sie jeden Beruf, den sie ergreifen möchten, auch nach Belieben ausüben können, aber nicht MÜSSEN. Eine Frau darf aber auch nicht aus ideologischen Gründen diskriminiert werden, wenn sie zuhause bleiben möchte. Sinnvolle Emanzipation sollte den Frauen nicht ihre Freiheit nehmen, sondern ihnen die Wahlfreiheit garantieren. Es kann doch nicht das Ziel sein, eine Unfreiheit durch eine andere zu ersetzen.

Was die Partnerschaft betrifft, da liegt sicher noch vieles im Argen. Von Partnerschaft kann wohl noch lange keine Rede sein. Da sitzt viel kulturell Gewachsenes noch zu tief. Da träumen viele Frauen vom „neuen Mann“, der Gefühle zeigt, der im Haushalt mitarbeitet und sich mit den Kindern beschäftigt – um dann mit den nächstbesten Macho davonzuziehen. Andere spielen nicht mehr mit und agieren selber testosterongesteuert. In der Türkei gibt es eine Untersuchung, der zufolge sogar die türkischen Macho-Männer zuhause mehrheitlich die zweite Rolle spielen. Vielleicht müssen sie deshalb wenigstens auf der Straße den Berserker rauslassen. Durchaus nicht so überraschend, trägt doch alles seinen Gegensatz in sich (Yin-Yang).
Was unterscheidet eine testosteron-getunte Frau von einer wirklich selbstbewussten Frau, die es nicht nötig hat ihre Weiblichkeit zu verleugnen? Und nur die kann das Ziel der Emanzipation sein. Man ist versucht zu sagen, nur eine Frau, die sich ihrer Weiblichkeit bewusst ist, ist auch eine starke Frau. Andererseits kann wohl nur ein Mann, der sich seiner Männlichkeit bewusst ist, eine Frau wirklich als Frau anerkennen. Aber natürlich gehört dann zur Männlichkeit mehr als das stereotype Männerbild. Es gehört wohl mehr Männlichkeit dazu, zu seinen Gefühlen zu stehen, als einem Widersacher in die Fresse zu hauen oder den Macho herauszustreichen.

Womit wir bei der Emanzipation der Männer wären. Ja, auch Männer werden diskriminiert oder diskriminieren oder disqualifizieren sich vielfach selber. Und sie werden zusätzlich noch durch die (eher schieflaufende) Emanzipation der Frauen verunsichert. Frauen müssen sich verleugnen, in der Männerwelt ihren Mann stehen, um als emanzipiert zu gelten. Männer verleugnen sich, um einer stereotypen Männerrolle zu entsprechen. Woran man immerhin sieht, dass die Frauen bereits weiter sind auf diesem Weg als die Männer. Frauen drängen aus ihrer ihnen fälschlich zugeschriebenen Rolle heraus, Männer versuchen krampfhaft, in der Stereotypie drinnen zu bleiben. Aber vielfach ist die Alternative für Frauen die Vermännlichung, die Alternative für Männer der verweichlichte Softie. Und das geht wohl beides am Sinn des Ganzen vorbei.
Irgendwie ist es daher noch Utopie, dass Frauen zu ihrem Frau-Sein stehen und auch als Frau anerkannt werden. Genauso wie es noch Utopie ist, als Mann zu seinem Mann-Sein zu stehen. Beides hat nichts mit Rollenbildern zu tun. Die „Rollen“ sind verschieden und variabel, nicht an einem Typ festzumachen. Man müsste dahin kommen, dass Mann und Frau etwas eher Abstraktes ist, dass es eher darum geht, sich zu überlegen: Was ist Mensch mit (überwiegend) weiblichen Eigenschaften? Und was ist Mensch mit (überwiegend) männlichen Eigenschaften? Im alten Männerbild hat ein Mann keine Gefühle zu haben oder zumindest nicht zu zeigen. Kein Wunder, dass viele Männer darin Analphabeten sind. Wirklich männlich wäre es aber, offen zu seinen Gefühlen zu stehen.
In Beziehungsfragen dürfte es auch nicht in Tarzanmanier darum gehen, ich Mann, du Frau… Sondern wie können wir unser Spannungsfeld so leben, dass sich Männliches und Weibliches die Balance hält. Und das ist durchaus ein fluktuierendes Feld. Der Mann muss nicht immer stark und die Frau nicht immer passiv sein, und ins Gegenteil zu fallen, wäre genauso ungesund. Es wird Situationen geben, wo er stark ist, Geborgenheit vermittelt, und sie sich anlehnen und geborgen fühlen kann. Und dann wird es auch Situationen geben, wo sich das umdreht, wo er in der Beziehung Halt sucht und sie diesen Halt geben kann. Da geht es nicht mehr darum, welche Rolle spiele ich, welche Rolle spielst du, sondern was brauche ich und was kann ich geben – und was je nach Situation verschieden sein kann.

Nur so ein paar Ideen zu einem unerschöpflichen Thema.