Ein Physiker und eine Philosophin spielen mit der Zeit

Cover_Lesch_Forstner_Das Buch ist ein Dialog zwischen Harald Lesch (Physiker, Kosmologe, Philosoph) und Karlheinz A. Geißler (Wirtschaftspädagoge, Sozialforscher) über die Zeit, der dann (im Buch parallel) noch einmal von Ursula Forstner (Philosophin) und Alfred N. Whitehead (Philosoph, 1861-1947) in einem fiktiven Dialog interpretiert wird. Klingt kompliziert, liest sich aber hervorragend.

Ganz „nebenbei“ kommt auch zur Sprache, was Naturwissenshaft ist und was sie nicht ist. Das beginnt schon, wenn Karlheinz Geißler im Vorwort erwähnt, es fehle auch der abschließende Beweis für die Existenz der Zeit. Dazu fällt mir gleich Herbert Pietschmann ein, der immer wieder betont, dass man nicht mal die Naturgesetze beweisen kann. Wer also sagt, er glaube nur, was man beweisen kann, der sagt damit nur, dass er gar nichts glauben kann, auch nichts Physikalisches.
Warum gerade Whitehead, erklärt Harald Lesch in einem Nachwort: Er hat in einer Zeit, in der die Grundlagen der modernen Naturwissenschaft entwickelt wurden, einen metaphysischen (Gegen)Entwurf über Welt und Mensch vorgeschlagen.

Zeiträume statt Zeitpunkte
Lesch und Geißler einigen sich eingangs: Es gibt nicht die Zeit, sondern nur eine (räumliche, lineare, eigentlich punktuelle) Vorstellung von Zeit. Whitehead unterscheidet zwischen Abstraktem (das nur im Denken vorkommt) und Konkretem, und konkret sind nur Ereignisse. Auch wenn wir immer vom konkreten Einzelfall abstrahieren müssen, darf man Abstraktes nicht für Konkretes halten. Auch die Naturwissenschaft muss vom Konkreten absehen, sie arbeitet mit Abstraktionen. Sie rechnet z.B. mit Massenpunkten, die gibt es nur in der Mathematik und im Denken, aber nicht in der Natur, die man vorgibt zu untersuchen. Genauso gibt es keine Zeitpunkte, auch das sind Abstraktionen, die in der Natur nicht vorkommen.
Was wir wahrnehmen, sind Veränderungen, und die sind fließend. Physik kommt von der Erfahrung zu den Abstraktionen, die sie am Experiment prüft, Philosophie ist das hinterfragen der Abstraktionen, die sie an der Erfahrung prüft. So zumindest Whitehead. Aber auch Lesch gibt zu: „Abstrakter als die physikalische Zeitvorstellung kann es überhaupt nicht werden.“ Sie rechnet ja nur mit der Uhr, die Geißer als „irrsinnige Vorstellung“ bezeichnet. Denn damit verschwindet das Fließen der Zeit, die objektiviert und mechanisiert, der Subjektivität und Qualität beraubt wird. Durch die Miniaturisierung der Technik kann man diese Uhr als Handschellen (Lesch) am Handgelenk tragen.

Naturwissenschaft als qualitätsfreie Zone
Die Physik ist eine „qualitätsfreie Zone“. „Bei uns hat überhaupt nichts Qualität…. Man könnte uns Physiker auch als Lageristen der Natur bezeichnen.“ (Lesch). Sie machen sozusagen regelmäßig Inventur und haben dann ihre nackten Zahlen. „…die Physik ein Hochstapelregal“ (Geißler). Darauf Lesch: „In einer Weise ja, wir sind Hochstapler und wir stapeln ziemlich hoch!“ Wie man sieht, können sich Physiker selbst auf die Schaufel nehmen, auch wenn das den Physikalisten die Schamröte ins Gesicht treiben würde.
Die Replik des (fiktiven) Whitehead: „Die Naturwissenschaften haben uns viel erklären können, aber sie sind zu dogmatisch. Sie sind mit ihrer Weltsicht im 17. Jahrhundert stecken geblieben und betrachten materielle Objekte immer noch als die grundlegenden Einheiten unseres Universums.“ Nicht nur das, „im materialistischen Weltbild leben die Denkmuster des Mittelalters weiter.“ Aber auch Materie ist nur eine sehr fragwürdige Abstraktion, die es so in der Natur gar nicht gibt.

Ereignisse statt Bausteine
Zurück zur Zeit: Die Naturwissenschaft kennt keine Vergangenheit und keine Zukunft. Wir erleben Erinnerungen und Erwartungen, und die kommen in der Naturwissenschaft nicht vor. Dort gibt es nur abstrakte Zeitpunkte, die linear mittels Ursache und Wirkung zu einem Früher oder Später verbunden werden. Mit wirklichen Ereignissen hat das nichts zu tun.
Für Whitehead sind nicht kleinste Bausteine, sondern konkrete Ereignisse, Prozesse die grundlegenden Einheiten unseres Universums. Es gibt auch keine linearen Verbindungen, sondern komplexe Zusammenhänge. Es geht auch nicht um etwas Statisches, sondern um etwas Dynamisches, um Dauer, um Zeiträume, nicht um abstrakte Zeitpunkte. Man möge sich nur fragen, wann der Frühlingsanfang ist. Das ist ein Werden und kein Beginn. Wann immer man historisch etwas beginnen lässt, es ist kein Anfang. Beginnt die Naturwissenschaft mit Galilei, Descartes und Newton? Beginnt sie mit Cusanus? Oder Mit Aristoteles? Auch der hatte Vorläufer. Geschichte ist das Fließen der Ereignisse.
Pünktlichkeit ist eine Erfindung der Industriegesellschaft. Vorher gab es die nicht, und in manchen Regionen der Erde gibt es sie auch heute noch nicht. Und auch der Frühling kümmert sich nicht um das Datum. Datum ist das Gegebene. Wenn etwas gegeben ist, in Mathematik oder Physik, dann ist es bereits abstrakt, losgelöst von der Erfahrung, die immer konkret und individuell, also nicht reproduzierbar ist.

Es gibt keine abgrenzbare Gegenwart
Der abstrakte, mechanische Zeitbegriff taugt nicht für das Konkrete (Whitehead). Die Aneinanderreihung von Zeitpunkten ist kein Leben (Geißler). Das Festgestellte täuscht nur Beständigkeit vor. Beständigkeit im Leben ist ständiges Werden! Was man berechnen kann, ist nicht (mehr) lebendig. Vergangenes ist nur, indem es gegenwärtig ist. Gegenwart ist ein Prozess, in dem bisher Mögliches wirklich wird.
Zeit ist auch keine Abfolge von Zeitpunkten. Wir denken uns die Gegenwart als abstrakten Zeitpunkt, ohne Bezug zu Vergangenheit und Zukunft. In Wirklichkeit gibt es nur den Zeitraum des Werdens, Ereignisse, die ihre je eigene Dauer haben. Es gibt keine abgrenzbare Gegenwart. Zeit ist aufeinanderfolgendes Werden (Forstner). Und dieses Werden eines Ereignisses ist ein unteilbares Ganzes (Whitehead).

Es gibt grundsätzlich Unerreichbares
Die Physik, die sich auf das Messen verlegt hat, muss fragmentieren. Damit „gibt es einen Teil der Welt, der grundsätzlich unerreichbar ist.“ (Lesch). Aber selbst das exakte Messen gibt es nicht, Exaktheit ist eine Abstraktion. Immer gibt es einen Fehlerbereich, der angegeben werden muss, damit eine Messung als wissenschaftlich gilt.
Irgendwie offen bleibt die Frage, ob es wirklich Fortschritt ist, dass wir immer abstrakter werden.
Harald Lesch, Ursula Forstner
Ein Physiker und eine Philosophin spielen mit der Zeit
Patmos Verlag 2019, 122 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN-13: 978-3-8436-1125-1
EUR 17.00

Manfred Kochs Welt-Bilder

Koch_printempsDie Kunst Manfred Kochs besteht vor allem darin, Bewegung in einem statischen Medium einzufangen. Dazu braucht es Technik, Geduld und ein offenes Welt- und Menschenbild.

Unser gewohntes Weltbild ist ein durch und durch statisches. Wir sehen Objekte und Dinge, die auch wenn sie sich bewegen, ohne Veränderung in sich sind. Heraklits „panta rhei“ war dagegen offensichtlich machtlos. Wir sehen das Fließen der Dinge nicht. Wir sehen ein Gebäude als „Objekt“, vernachlässigen seine Geschichte, die vom Bau bis zum Verfall reicht. Die Bewegung ist zu langsam, als dass sie uns auffallen würde. Und doch ist sogar ein Berg in fließender Bewegung, wurde einmal vor langer Zeit aufgefaltet und schrumpft dann Millimeter für Millimeter.

Wir denken sozusagen in Standbildern (Dingen, Objekten) und übersehen den Film (die Geschichte), der die Wirklichkeit ausmacht. Unsere Bilder der Wirklichkeit haben noch nicht laufen gelernt. Dazu kommt, dass wir uns an ein (pseudo)naturwissenschaftliches Weltbild klammern, und (die klassische) Naturwissenschaft darin besteht, die Welt in kleinste Teilchen (Standbilder) zu zerlegen. Erst nach 1900 kam diese Teilchenwelt ins Wanken, zumindest in der Physik. Teilchenbild und Wellenbild gehören komplementär zusammen. Im Gegensatz zur klassischen hat aber die moderne Physik kaum einen Einfluss auf unser Weltbild.

In der Welt Manfred Kochs gibt es Foto und Film, festgehalten mit einem „Objektiv“, das Objekte darstellt oder „bewegte Bilder“. Im Film laufen die Bilder so schnell vor unserem Auge ab, dass sie wie Bewegung erscheinen. In dieser „Bewegung“ verstecken sich die Standbilder. Das Faszinierende an Kochs Fotos ist, dass er im statischen Bild Bewegung sichtbar macht, dass er Ruhe und Bewegung nebeneinander in komplementäre Spannung stellt. Seine Fotos fangen nicht Objekte ein, sondern Momente einer Bewegung, einer Geschichte. Das Festgehaltene ist nicht Objekt, sondern Verdichtung von Zeitlichem. Sinnliches wird damit auch zum Sinnhaften, über sich Hinausweisenden, Fotografie zur Philosophie.

Dazu kommt man nicht, indem man ein Motiv erfasst und auf den Auslöser drückt. Zur Inszenierung gehört ganz wesentlich das Warten, das Warten auf den richtigen Augenblick (Chairos), in dem Vergangenes und Zukünftiges mit eingefangen werden. Ein konkreter Ort und ein konkreter Zeitpunkt, die über sich hinausweisen. Es wird ein ganz bestimmter Augenblick eingefangen, in dem aber die Bewegung erhalten bleibt und im Kontrast zum statischen Teil des Fotos steht. Oft sind es mehrere Räume, die ineinander übergehen, und Bewegungen, die den ruhenden Teil der Komposition aus der Reserve zu locken scheinen.

Wie in jedem Kunstwerk ist das Bild der „Endpunkt“ eines Prozesses der Gestaltung. Dieser ist dann für den Betrachter der „Ausgangspunkt“ eines Prozesses, der vom Raum, den das Bild eröffnet, in den Innenraum, die Innenwelt des Betrachters führt. Das Bild ist die Mitte oder der Schnittpunkt zwischen der inneren Einstellung des Künstlers und der Innenwelt des Betrachters.  Die Fotos weisen dadurch ins Symbolhafte, sind mehrschichtig und mehrdeutig. Oft erzählen Details, die man beim ersten Blick gar nicht sieht, eine eigene Geschichte, die aber dem ganzen Bild eine neue Wende gibt.

Anders und doch nicht anders in der Serie „Übergangenes“, die Abbildungen von verwitterten Pariser Zebrastreifen. Hier erzählt gerade das statische Muster eine bewegte Geschichte.

Manfred Koch geht es nicht (nur) darum, etwas Äußeres festzuhalten, sondern aus sich heraus etwas zu gestalten. Gute Kunst ist immer auch ein Offenlegen des eigenen Inneren. Im Bild oder Foto trifft dieses Offengelegte dann auf die Innenwelt des Betrachters, wo etwas angerührt wird, das nicht vorhersehbar ist. Das Foto stellt eine Beziehung zwischen Künstler und Betrachter her, zwischen zwei Innenwelten, die einander durch das Foto in seiner Vieldeutigkeit begegnen.

Eine andere Spannung ist, dass jedem Foto eine genaue Vorstellung der Komposition zugrunde liegt. Und doch soll ein Ereignis festgehalten werden, das nicht vorhersehbar ist. Es ist ein Warten auf eine Begegnung, in der Geplantes und Zufälliges, nicht Berechenbares verschmelzen. Scheinbar Alltägliches bekommt durch den herausgehobenen Augenblick eine tiefere Bedeutung.

Manfred Kochs Fotos laden dazu ein, die „Dinge“ anders sehen zu lernen, das gewohnte Wahrnehmen und damit das gewohnte Denken zu übersteigen. Das europäische Denken ist ein Denken in einander ausschließenden Gegensätzen. In Kochs Fotos stehen die Gegensätze nebeneinander, schließen einander nicht aus, sondern kommunizieren miteinander, verweisen aufeinander und auf die Einheit des „panta rhei“. Auf die Vielschichtigkeit und Mehrdeutigkeit der Welt, die der modernen Sucht nach Eindeutigkeit, die es in der Natur gar nicht gibt, widersteht. Koch arbeitet mit seiner Kamera an einem neuen Welt-Bild.

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Gegensätze und Komplementäres

Im gegenwärtig beherrschenden fragmentierenden Denken stellt sich immer wieder die Frage nach dem Ganzen – und da wieder nach einem abstrakten und einem lebendigen Ganzen. Davor aber die Frage, wie man mit Gegensätzen umgeht.

Dies ist die Welt der Dualität, sagen Esoteriker. Die gilt es zu überwinden, was für viele in einer Weltflucht (buchstäblich) endet. Andern Orts tobt ein Kampf zwischen Materialisten, Naturalisten, Wissenschaftsgläubigen und Religiösen, Spirituellen. An der Oberfläche ist es meist ein Krieg zwischen wissenschaftlichen und religiösen Fundamentalisten. Wir leben in einer Zeit der Polarisation, nicht nur zwischen Arm und Reich, sondern auch zwischen Weltbildern.

Der Streit hat verschiedene Dimensionen, nicht nur intellektuelle. Psychologisch steht dahinter ein Schwarz-Weiß-Denken, das zur Projektion neigt. Man vertritt selbst das Gute, die Anderen, Fremden immer das Böse. Das tritt ja aktuell in der Flüchtlingskrise wie eine Krankheit zutage. Dieses Denken neigt zu Extrempositionen, aus denen alle Grauwerte, alles dazwischen verschwindet.

Wenden wir uns diesen Grauwerten und Zwischentönen zu, dann sind wir in der Psychologie. Und die Psychotherapie hat es auch mit Extremen des Menschlichen zu tun, mit Neurotisierungen, Traumatisierungen und inneren Konflikten. Während das „wissenschaftliche“ Denken die Zeit in Standbilder zerlegt und analysiert, wodurch die Zeit selbst verloren geht, beschäftigt sich die Psychologie mit eben dieser Zeit in der Entwicklung des Menschen und seiner Konflikte. Eine Psychotherapeutin arbeitet daher weniger mit Begriffen als mit Mustern, Tendenzen, Überwältigendem. Nicht mit Fakten, sondern Deutungen. Die nicht „richtig“ sind, sondern stimmig sein müssen. Und zwar in erster Linie für den Klienten und nicht für den Therapeuten.

Damit sind wir bei einer anderen Dimension, der des Religiösen. Religion ist nicht Wissenschaft, da haben die naiven Atheisten um Richard Dawkins Recht. Sie muss daher auch nicht aus logischen Gründen von zwei Gegensätzen einen eliminieren. Es geht in der Bibel nicht wissenschaftlich, sondern menschlich zu. Auffällig ist, dass es in der Bibel von Anfang an um Gegensätze und Konflikte geht – wie im richtigen Leben. Kain und Abel, Jakob und Esau, Ägypten und das Gelobte Land. Oder um den verlorenen und den gebliebenen Sohn im Gleichnis vom barmherzigen Vater. Es geht um menschliche Dimensionen und Konflikte. Außerdem geht es um Zeit und Entwicklung.

Das Alte Testament wurde in einem Zeitraum von etwa 1000 Jahren geschrieben, und vieles, das immer wieder als Widersprüche angeprangert wird, ergibt sich schon daraus. Das „Aug um Auge“ war in einer Zeit, in der bei einem Mord der ganze Stamm des Mörders hingemetzelt wurde, ein ungeheurer Fortschritt. Die zehn Gebote kommen zweimal vor, in der ersten Version sind Frauen noch unter Hausrat und Tieren vermerkt, in der zweiten Version als Personen.

Wer religiöse Bücher so liest, wie sie zu lesen sind, nämlich als sich selbst betreffend, wird zugestehen, dass sowohl Abel, als auch Kain in ihm sind. Dass Ägypten, das Gelobte Land und die Wüste dazwischen die Zerbrochenheit des eigenen menschlichen Lebens darstellen. Und bei genauerem Hinsehen wird man feststellen, dass religiöse Schriften mehr Psychologie enthalten als psychologische Fachbücher. Was naive Religionskritiker natürlich ignorieren, weil sie auch die Psychologie verdrängen. Aber die Psyche ist das, was wir sind, alles andere – auch und vor allem das „Objektive“ – ist uns nur indirekt zugänglich.

Menschsein heißt, mit Gegensätzlichem umgehen zu müssen. Menschsein heißt, im Namen der Gerechtigkeit oder der Religion Kriege zu führen. Menschsein heißt, die über alles Geliebten zu verletzen, ohne es zu wollen. Menschsein heißt, sich zu entscheiden, das eine zu tun oder das andere, und in beiden Fällen jemanden zutiefst zu verletzen. Menschsein heißt auch, dass es vor Gericht um Recht, aber nicht um Gerechtigkeit gehen kann. Menschsein heißt, die eigene Endlichkeit und Begrenztheit anzunehmen, ohne die Ausrichtung auf das Unendliche zu verlieren.

In religiöser Sprache geht es dabei um das Irdische und das Göttliche. Beides letztlich in uns. Während wir diskutieren, kritisieren, spotten über das Religiöse, übersehen wir, dass es um etwas ganz anderes geht. Jesus ist, nach Lehre der Kirche, „wahrer Gott und wahrer Mensch“. Er ist ganz „beim Vater“ (was auch „Ursprung“ bedeutet) und ganz Mensch, in all seiner Endlichkeit und Gebrochenheit. Und er nennt die Menschen Brüder und Schwestern, was heißt, ihm „gleich“ zu sein. Heißt, auch unser Menschsein geht weit über das bloße Menschsein hinaus, umfasst in aller Endlichkeit und Gebrochenheit doch immer Endliches und Unendliches.  Dies zusammenzubringen, ohne das äußerste Gegensätzliche zu negieren, ist Aufgabe der Psychotherapie und in tieferer Dimension des Religiösen.

Psychotherapie will Widerstreitendes komplementär vereinen, was heißt, alles Menschliche anzunehmen, die menschlichen Abgründe nicht zu negieren, sondern zu integrieren. Religion zeigt nicht, was das Unendliche oder Gott ist – es ist nicht möglich, sich ein Bild davon zu machen – sondern was Menschsein bedeutet. Von der Geburt eines geistigen Funkens im Stall der menschlichen Abgründe über das Annehmen des Leidens an den Widersprüchen bis zur Auferstehung von den Toten, dem Bewusstwerden des Unbewussten, wodurch auch das Unterste „gehoben“ und integriert wird. Dazwischen liegen viele „Wunder“ der Verwandlungen, die Augen und Ohren öffnen und wieder beweglich, entwicklungsfähig machen.

Fließen

 

Im Fragmentieren unserer Welt

haben wir den Lebensfilm

zu Standbildern degradiert.

So schnell sie auch aufeinanderfolgen

es wird kein Film mehr draus.

 

Die Zeiger der Uhren springen

von Sekunde zu Sekunde,

das Dazwischen überspringend,

um uns notdürftig zu erinnern,

dass da etwas Fließendes war.

 

Im Zusammensein vergeht die Zeit

wie in rasendem Fluge.

Im Warten dehnt sie sich

kommt kaum an ein Ende,

und Tränen lassen die Zeit stillstehen.

 

Als wäre sie in einem Standbild eingefroren.

Kein Zeiger, der weiterspringen würde,

als wär alles Fließen zu Eis erstarrt.

Nur Licht und Wärme der Sonne

könnte die Zeit wiederbeleben.

 

Erde getrennt vom Himmel

oder Himmel ohne Erdengrund

bringt kein Lebendiges hervor.

Nur wenn der Himmel sich zur Erde neigt,

kann Leben sich entwickeln.

Zeitpunkt und Zeitfluss

Mit dem begrifflichen Denken, dem Beharren auf Fakten und dem wissenschaftlichen Analysieren wird etwas Wesentliches unterschlagen: die Zeit. Dem fragmentierenden Denken geht das Fließen der Zeit verloren.

Wir können in Bildern oder in Begriffen denken, mythisch oder philosophisch, symbolisch oder begrifflich. Im Mythos ist der Mensch Teil der Natur und fühlt sich wie vom Strudel der Zeit mitgerissen. Mit dem Erwachen der Philosophie nimmt er sich als Subjekt aus der Natur heraus, stellt sich dem Strudel entgegen. Es ist wie ein Anhalten der Zeit. Heraklit konnte noch sagen: Panta rhei, alles fließt. Niemand steigt zweimal in denselben Fluss. Das Wasser ist im nächsten Augenblick schon ein anderes, und auch ich bin nicht mehr derselbe. Es ist noch nichts „festgestellt“.

In dem Moment, wo wir damit beginnen, uns selbst als Subjekt aus der Natur herauszunehmen, im Außen zu analysieren, beginnen wir festzustellen. Was wir als Fakten festhalten, ist festgestellt, ist Momentaufnahme. Der Film des Lebens wird angehalten und in Standbilder aufgelöst. Das Fließen der Zeit, der Wandel, das Leben gehen verloren. Was wir exakt feststellen, ist aus dem Kontext herausgelöst und in seiner Nicht-Zeitlichkeit im nächsten Augenblick schon wieder bedeutungslos.

Dazu kommt, dass Begriffe eindeutig sein sollten (zumindest in Annäherung), während Bilder und Symbole immer mehrdeutig waren. Die Wissenschaft kann mit Mehrdeutigkeit nicht umgehen und sie daher auch nicht zulassen. Damit geht das Leben verloren, das immer mehrdeutig und multidimensional ist.

Weiters sind Begriffe allgemein(gültig). In der Natur und im Leben ist aber alles einmalig. Es gibt keine zwei gleichen Menschen, auch Zwillinge sind nicht gleich. Es gibt nicht einmal zwei gleiche Schneeflocken. Es ist nicht so, dass wir den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen, sondern umgekehrt sehen wir den einzelnen Baum nicht, weil wir den Begriff des Waldes gebildet haben. Auch wenn wir vom Allgemeinen zum Besonderen schreiten, und Nadel- und Laubbäume, Fichten und Tannen, Buchen und Ahorn unterscheiden – wir kommen wissenschaftlich nie zum einzelnen Baum. Den können wir sehen, zeigen, malen, fotografieren, aber sobald wir beginnen, ihn detailliert zu beschreiben, ist er als Phänomen nicht mehr im Blick. Und die Zeit, seine ganze Entwicklung, kommt weder im Sehen, noch im Beschreiben vor. Nur das Symbol verdichtet Phänomen, Zeit und Dimensionen.

„Zeit“ in der Wissenschaft bedeutet Berechnen von Zeitpunkten. Die Zeit geht sozusagen im Raum auf und ihr Charakteristikum, das Fließen, geht verloren. Das wird besonders deutlich in der Elementarteilchenphysik: Wenn man ein Teilchen an einem Ort A misst, und dann an einem Ort B, dann ist es unzulässig zu sagen, es hätte sich von A nach B bewegt. Es geht nicht nur die Zeit, sondern auch die Identität verloren. Da es außerdem immer nur um Zeitpunkte geht, kann die Physik den „Zeitpfeil“, das Fließen der Zeit in eine Richtung, gar nicht erklären.

Zeit ist kein naturwissenschaftlicher, sondern ein psychologischer „Begriff“. Zeit kann man nicht beschreiben, sondern nur erleben. Psychologie ist nicht Naturwissenschaft, auch wenn sie das oft vorzugeben versucht hat. Zeit ist eben nicht objektiv. Deshalb zeigt eine Uhr Zeitpunkte, aber nicht Zeit. Deshalb können Afrikaner zu Europäern sagen: Ihr habt die Uhr, wir haben die Zeit. Von zwei Menschen, die „objektiv“ (nach der Uhr) eine Stunde erleben, fühlt der eine das als lange Zeit, der andere als rasend kurz, für einen dritten wird eine Sekunde innerhalb dieser Stunde zur Ewigkeit.

Auch der „Zeitpfeil“, das „Vergehen“ der Zeit, die von der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft „fließt“, ist eine wissenschaftliche Konstruktion. Wer eine Psychotherapie durchmacht oder sich selbst analytisch betrachtet, der spürt Vergangenem und Zukünftigem in der Gegenwart nach. Erlebt die Vergangenheit in der Gegenwart, die Forderungen der (vielleicht schon längst verstorbenen) Eltern, und wie die Wunden der Vergangenheit auch noch die Zukunft bestimmen. Der erlebt, wie man Vergangenes wiedererleben und sogar verändern kann. Wie durch das Verändern des Vergangenen die Zukunft eine andere wird.

Es ist nicht verwunderlich, dass mit einem pseudo-naturwissenschaftlichen Weltbild auch das Verdrängen der Psychologie verbunden ist. Psychologie ist als Wissenschaft des Lebendigen eine Gratwanderung zwischen Begriffs- und Symbolsprache. Es gibt selbstverständlich Begriffs- und Theoriebildung, aber Inhalt sind (auch) Bilder, Symbole, Mythen, Träume. Das Beschreiben muss das Grenzenlose im Begrenzten, das Mehrdimensionale und Mehrdeutige im Bild, im Symbol bestehen lassen.
Dazu wäre anzumerken, dass wir vieles aus der Psychologie in ihrer Vor-Geschichte finden: über Augustinus und Ignatius von Loyola bis zurück zu Heraklit. Aber gleichzeitig mit der Etablierung der Psychologie und Psychoanalyse kommt es zu einer signifikanten Seelenvergessenheit. Das allgemeine Weltbild lehnt sich an die Physik an – noch dazu an die Physik des ausgehenden 19. Jahrhunderts, und bleibt dort stecken – was psychologisch einem Rückfall aus der Beziehung des Ich-Du in die des Ich-Es entspricht, wodurch auch das Ich verlorengeht.

Während der Naturwissenschaftler sozusagen am Flussufer steht und die Tropfen zählt, begibt sich der Psychologe ins Wasser und versucht, die Information der Tropfen wahrzunehmen, die diese seit der Quelle aufgenommen und weitertransportiert haben, und die sie weitertreiben Richtung Meer. In dieser Sicht gibt es keinen Standpunkt, nur das Fließen der Zeit. Wer sich diesem Fließen aussetzt, muss seinen Standpunkt aufgeben, und wer auf seinem Standpunkt beharrt, dem bleibt das Leben verborgen.

In gewisser Hinsicht ist das auch ein Zurückgehen hinter die Subjekt-Objekt-Spaltung. Es interessieren nicht so sehr die Elternobjekte, sondern die inneren Eltern, nicht so sehr das objektiv Manifeste, sondern das Verinnerlichte und Verdrängte. Das „Objektive“ dient nur dazu, das Subjekt sichtbar zu machen. Wir müssen wieder werden wie die Kinder, d.h. längst „Vergangenes“ (aber immer auch gegenwärtig Wirkendes) muss wieder aufgenommen, bearbeitet und integriert weitergetragen werden. Erst dadurch ist ein erwachsenes Leben möglich.

Nun ist der Mensch Bürger zweier Welten. Er lebt in der objektiven Realität, gleichzeitig aber auch in diesem Fluss des Lebens, der alles in sich enthält, von der Quelle bis zum Meer. Er muss immer wieder „feststellen“, darf aber nicht verdrängen, dass es hinter diesen Standbildern einen Film gibt. Dass die Standbilder zwar objektiv sind, aber jeder in seinem eigenen Film lebt, der nicht feststehend, sondern immer veränderbar ist. In diesem Film lässt sich sogar die Vergangenheit ändern, zwar nicht die Standbilder der Vergangenheit, aber man kann dem Fließen der Partikel eine andere Richtung geben, die auch immer schon da war, aber nicht konkret werden konnte.

Das ist wie in der Quantenmechanik (die eine neue Logik eröffnen würde): Die Wirklichkeit ist die Überlagerung aller Möglichkeiten. Die Realität entsteht durch Messung, durch Hinschauen, und wird dadurch festgestellt. Durch eine andere Art des Experiments, des Hinschauens, können wir eine andere Möglichkeit realisieren, feststellen. In einer Psychotherapie geschieht nichts Anderes: Durch eine andere Art des Hinschauens auf die Vergangenheit wird eine andere Möglichkeit realisiert und damit die Vergangenheit „verändert“. Auch wenn das Wasser dasselbe ist, kann man den Fluss nachträglich umbetten. Das Fließen der Zeit ist ein anderes geworden. Der Erlebende ebenfalls.

Ewigkeit

Ewigkeit hat nichts zu tun
mit Anfang oder Ende,
mit anfanglos oder endlos.
Das Universum ist riesig,
vielleicht endlich, vielleicht unendlich,
aber doch nur ein winziger Ausschnitt
der Wirklichkeit.

Ob das Universum endlich oder unendlich,
ist eine Frage der Dimensionen,
nicht der Ewigkeit –
die wird man im All nicht finden.

Ewigkeit ist auch nicht unendliche Zeit,
hat nichts zu tun mit ihrem Fließen,
steht außerhalb, oder innerhalb,
ist Zeitlosigkeit.

Ewigkeit lässt sich nicht analysieren,
lässt sich nur erleben,
indem man der Zeit entkommt.
Das kann man schwer alleine.
Aber gibt es ein Du,
das ich so stark empfinde,
dass das Dazwischen, die Gravitation
das Ich und Du auflöst,
und es bleibt nur die Intensität,
die Intensität des Augenblicks.

In dieser Apokalypse verschwindet alles,
Ich, Du, Raum, Welt, Zeit…
Was bleibt, ist Beziehung, ist Intensität,
im Augenblick erlebt,
ist Ewigkeit.

warten

ich gehe hinunter zum fluss
kälte fließt in den adern des landes
wellen spiegeln bewegte bilder
wie das leuchten deiner augen
nebelschwaden reißen auf
als dampften deine warmen wangen
trauer mischt sich in das zappeln der fische
die warten mit mir auf den tag der tage
ein baumstamm treibt vorbei
eisbedeckt auf fahrt gen osten
wolken reißen auf
der mond zögernd fahl erst
dann glänzend wie deine seenaugen
spiegelt sich in tausend tropfen
wie perlen, ausgestreut am fluss
tränengleich von flussauf kommend
wolkenverhangen die dunkle nacht
die zeit fließt an mir vorbei
und steht doch still am himmel
es zieht mich flußaufwärts
löwenmähne im wind
eingeprägt in meiner Seele
seit chaotischem Beginn

Das Kind in mir

Cover MettnitzerPerspektiven eines geglückten Lebens: Wenn das reife Alter sich mit der Begeisterung der Kindheit verbindet.

Arnold Mettnitzer, Psychotherapeut und Theologe, gelang ein berührendes Buch, in dem er eigene Erfahrung mit Beispielen aus der Weltliteratur und der Bibel zu einem symphonischen Ganzen verarbeitet. Sich mit dem inneren Kind zu verbinden ist zu einer modernen Phrase geworden. Nicht so in diesem Buch. Es geht nicht (nur) darum, Anschluss an die frühere Unbefangenheit und Offenheit zu finden, sondern das Leben zu einem gelingenden abzurunden.

Es ist schwierig, den Inhalt dieses Buches zu skizzieren – und auch gar nicht notwendig. Wie bei wenigen Büchern geht es hier darum, weiterzudenken, sich eigene Gedanken zu machen. Auch weil es darin nicht so sehr um Rationales geht, sondern um das, was der Autor „Psycho-Logik“ nennt, in der immer wieder Paradoxien aufleuchten. Es geht darum, wiederzuentdecken, was verlorengegangen ist, was aber auch nur dann geht, wenn man vergessen kann, was man zu finden geglaubt hat. So scheint es, dass wir uns zu weit vom Kind Sein entfernt haben, wenn wir nach dem inneren Kind suchen. Tatsache ist, dass wir nie erwachsen geworden sind, wenn wir nicht diesem inneren Kind (wieder) begegnet sind.

Dieses innere Kind zu suchen, bedeutet auch nicht, sich zurückzuwenden, sondern sich etwas zu bewahren, das ansonsten verschüttet wurde – durch den Zwang zur Rationalität, zur Tüchtigkeit, der die Welt angeblich gehört, zum Zweckdenken. Doch genau dieses angeblich „erwachsene“, rationale Zweckdenken hat uns daran gehindert, erwachsen zu werden, indem es ihm nur um das – kindische, nicht kindliche – Habenwollen ging.

Werden wie die Kinder – heißt es in der Bibel. Werden, nicht bleiben! In vielen Zitaten aus der Weltliteratur legt Mettnitzer nahe, dass es eine gewisse Reife erfordert, diesem inneren Kind (wieder) zu begegnen. Dass man erst im reiferen Alter versteht, was einem Kind selbstverständlich ist oder war.

Immer wieder wird der Hirnforscher Gerald Hüther, der so überzeugend darlegte, dass ein Kind sich bis zu fünfzigmal am Tag für etwas restlos begeistert – bevor es zur Schule geht. Das Gehirn ist plastisch bis ins hohe Alter, es wird zu dem, wofür es benützt wird, und am besten zu dem, wofür es mit Begeisterung benützt wird. Diese Begeisterungsfähigkeit ist es, die uns das innere Kind wiedergeben kann. Und die uns (wieder) lebendig machen kann, denn „alles, was ein Mensch mit Begeisterung tut, macht ihn lebendig“. Daher geht es dem Autor auch um den Luxus, die Dinge, die wir im Moment tun, mit Leib und Seele zu tun. Das wäre sinnvoll verbrachte Zeit, denn die gemessene Zeit kann keine Auskunft geben über erfüllte Zeit, oft verdichtet in einem Augenblick.

Wie schon erwähnt, ein Buch, das zum Weiterdenken verführt…

 

Arnold Mettnitzer: „Das Kind in mir. Perspektiven eines geglückten Lebens“. Verlag Styria premium 2014. ISBN 978-3-222-13465-4. EUR 9,99

Umdenken eröffnet Zukunft

 

„VERÄNDERUNG ERFORDERT UMDENKEN
Wenn man die Gegenwart mit den Mustern der Vergangenheit angeht, kann man keine Veränderung für die Zukunft erwarten.“
Gesehen bei DENKZEITEN/Sandra Matteotti.

 

Es ist schon eine eigene Gabe, die Dinge so auf den Punkt zu bringen. Wer das so klar schafft, ist mitten im Umdenken. Und wer das so klar sagt, fordert die anderen heraus, mit umzudenken, mitzudenken, vielleicht sogar (gemeinsam) weiterzudenken oder weiter auszufalten.

Dieses Umdenken ist die Voraussetzung dafür, dass Zukunft überhaupt passieren kann. Ohne dieses Umdenken passiert ja nur immer (kopierte) Vergangenheit. Das Denken ist sozusagen die Matrix, und das Umdenken die neue Matrix, in die hinein Zukunft passieren kann.

Allerdings: Mit dem (neuen) Denken ist die Vergangenheit nicht weg.

Sie hat nur weniger Macht. Aber das Problem ist: In einem gewissen Sinn SIND wir unsere Vergangenheit. Daran ändert auch das Umdenken nichts. Und das sollte ja auch gar nicht geändert werden. Wäre die Vergangenheit weg, wären wir in einem gewissen Sinne selbst auch weg. Was nicht der Sinn des Umdenkens ist.

Wir sind unsere Geschichte, unsere Biographie. Die soll nicht eliminiert, sondern weitergeführt werden.

Umdenken heißt, das Vergangene als Vergangenes sehen zu lernen. Ansonsten ist es Gegenwart und kopiert sich endlos weiter. Also Abstand gewinnen, loslassen – d.h. Vergangenes vergangen sein zu lassen – erst dann ist die Zukunft offen. Und erst dann ist die Gegenwart Gegenwart und nicht die Summe der Vergangenheit (was sie auch ist, aber doch auch wieder nicht nur). Erst dann kann ich Gegenwart zulassen und damit den Samen für die (neue) Zukunft legen.

Am sichtbarsten wird das – no na – an unseren Beziehungen. Immer nach demselben Muster. Ok, mit verschiedenen Variationen. Aber dieselben Typen kommen und gehen, dieselben Fehler wollen wieder und wieder gemacht werden. Und selbst wenn einem das schon bewusst wird – der/die Nächste stellt sich bereits an. Denn das Muster zu sehen ist noch nicht umdenken. Umdenken hieße darüber hinaus: anderes zu akzeptieren, offen sein für wirklich Neues. Ansonsten steht das Neue vor der Tür, und es passt nicht. Weil es nicht ins alte, gewohnte Schema passt. Weil Neues noch immer unpassend erscheint, vielleicht sogar Angst macht.

Noch eine Schwierigkeit: Ich bin durch mein Umdenken kein anderer geworden. Dieselbe Vergangenheit, dieselbe Biographie, derselbe Rucksack.

Es ist beinahe tragisch, dass wir – trotz zunehmender Hektik – das Sensorium für Zeit, für Entwicklung, für Dynamik längst verloren haben. Umdenken heißt vielleicht nichts anderes als uns selbst nicht als Standfoto, sondern als Film sehen zu lernen. Als einen Film, der erst zum Teil abgedreht ist, an dessen Drehbuch wir noch schreiben können und bei dem wir nicht nur Hauptdarsteller sind, sondern auch Regie führen können. Die bisherigen Szenen sind abgedreht, daran lässt sich nichts mehr ändern. Aber es wäre eine Zumutung für die Zuseher und Mitspieler, würden wir jetzt nur mehr die alten Szenen weiter kopieren. Da muss Neues her, da muss Spannendes her, das muss aufregend werden, das muss fesseln. Und das muss – trotz festgelegter Vergangenheit – in eine völlig offene Zukunft führen.

Das war wohl gemeint mit UMDENKEN…

Alles und nichts

Habe nun – hach 😉
Philosophie und Magie
den Ernst des Yoga
der Chassidim Humor
noch immer im Ohr
den Tanz der Indianer und der Derwische
Übungen für langes Leben
in Augenblicke geschmolzen und vergeben
mit Pho-wa das Sterben vorweggenommen
Zeit und Ewigkeit in eins vernommen
weites Land und höchste Höhen
in Tibet wie in mir

wieder und wieder versucht
Sphärenklänge am Boden zu verankern
Wellen brechen in jeder Bucht
Himmel und Hölle in Einklang zu bringen
Rausch des Weines und der Meditation
Gegensätze zu bezwingen
in ein Gespann sie beizubringen
Einheit mit Gewalt und leisem Flehen
in konkretes Leben hineinzusehen
hart am Boden aufgeschlagen
doch auch wenn’s wär komplett vermessen
nie den Himmel ganz vergessen

Ringen mit deinem Bild
lachen, lieben, weinen, singen
mit Sehnen, Wünschen, Träumen ringen
Felsen gerührt
zum Ideal erkürt
bleibst davon unberührt
verloren schon eh noch gewonnen
noch keine Form und schon zerronnen
vergeblicher Versuch zu einen
sinnlos jetzt dir nachzuweinen

liebestrunken
im Nebel versunken
vom Winde verweht
das Sehnen gerinnt
der Schmerz vergeht

alles musst‘ sein
sonst wär‘s nicht mein
alles musst gehen
und im Gehen verwehn
in Himmel und Hölle hinein

und am Ende bleibt nichts
und Platz für alles