Rainer Maria Rilke hat drei Buddha-Gedichte geschrieben – und Karl-Josef Kuschel ein Buch dazu veröffentlichet, das jetzt in einer Neuauflage erschienen ist. Das Besondere an diesem Dialog ist, dass Rilke den Buddhismus gar nicht kannte, sondern im Dialog mit einer Buddha-Statue seinen eigenen Weg, seine eigene Spiritualität verdichtete.
Im vorliegenden Buch geht es nicht nur um die drei Gedichte, sondern um einen Dialog, den Rilke mit dem Prinzip Buddha führte, der in diesen Gedichten kulminierte. Dahinter steht ein Lebensweg Rilkes, weg von der bigotten katholischen Frömmigkeit seiner Mutter, weg von einer Gott vereinnahmenden Religiosität, aber auch weg vom Trubel der Großstädte, insbesondere Paris. Dazu Begegnungen mit Künstlern, insbesondere Auguste Rodin, in dessen Garten er einer Buddha-Statue begegnet und einen Dialog beginnt.
Das alles vor dem Hintergrund einer Zeit, die sich mit dem Buddhismus zu beschäftigen beginnt: Artur Schopenhauer, der seinen Pessimismus in den Buddhismus hineinprojiziert, und Friedrich Nietzsche, der den Buddhismus als Nihilismus fehlinterpretiert, Karl Eugen Neumann, der Übersetzer und Brückenbauer, der „Die innere Verwandtschaft buddhistischer und christlicher Lehren“, nämlich Meister Eckhart, beschrieb. Schriftsteller wie Hugo von Hofmannsthal, Stefan Zweig und insbesondere Hermann Hesse beschäftigten sich mit dem Thema.
Und Rilke? Er schrieb seine Buddha-Gedichte noch bevor er mit der Lehre des Buddha in Berührung kam, die ihn auch gar nicht interessierte. Zwar schickte ihm seine Frau „Die Reden des Buddha“, doch Rilke warf nur einen Blick hinein und hielt sich zurück. Da hatte er die drei Gedichte schon geschrieben. Daher bedankte er sich in seinem Brief: „Ich weiß, was ich empfing.“
Eine gewisse Rolle spielten auch die Weltausstellungen in Chicago 1893 und Paris 1900. Chicago stand im Zeichen der Brüderlichkeit der Religionen in Form eines „Parlaments der Religionen der Welt“. Paris dagegen im Zeichen der Technikverherrlichung und des Prahlens der europäischen Kolonialmächte. Im Holländisch-Indischen Pavillon wurden in einem „Tempel“ Buddha-Statuen aus dem Borobodur gezeigt, von denen offenbar sechs ihren Weg zu Auguste Rodin fanden. Es gibt Bilder von fünf Statuen in der Halle, in der Rodin arbeitete, und einen im Garten, direkt vor dem Fenster des Häuschens, in dem Rilke damals wohnte.
Um diese Buddha-Statue kreisen die Gedanken und Empfindungen Rilkes, die zu seinen Gedichten führten. Zunächst war es der Kontrast zur schrillen Großstadt Paris, die Rilke mehr als unangenehm war. Zum anderen war es ein Kontrast zur Religiosität seiner und früherer Zeiten, die Gott gebrauchen und domestizieren, beschrieben im Gedicht „Gott im Mittelalter“:
„und sie hängten schließlich wie Gewichte (zu verhindern seine Himmelfahrt)“
Rilke hat die „Religiosität“ seiner Mutter längst hinter sich gelassen, kritisiert auch nicht wie Nietzsche die Religionen, sondern den üblichen Umgang mit „Gott“. So geht es ihm auch nicht darum, Buddhist zu werden – wie gesagt, kennt er die Lehre gar nicht und ist auch nicht daran interessiert – ihm geht es nur darum, was diese Buddha-Statue ausstrahlt und was sie in ihm auslöst. Nicht Buddhist, sondern Buddha zu werden, ist das Ziel. Die Schweigsamkeit ist es, die Rilke anspricht, nicht weil der Buddha „nichts zu sagen hätte, sondern weil er Menschen auf ihren eigenen Weg schickt“, so Kuschel. Der Buddha ist für Rilke das Ideal menschlicher Vollkommenheit, die ins Kosmische reicht, „Zentrum der Welt“, „Mitte aller Mitten“.
Rilke hat in diesem Buddha sein Ideal von Religiosität gefunden, nicht um Verehrung Gottes geht es, sondern um ein Mensch-Werden. Rilke hat seinen eigenen Weg gefunden, dazu brauchte er keine Lehre mehr. Er braucht nicht Buddhist zu werden – und ist eben damit buddhistischer als alles “Buddhistische“ seiner – und erst recht der heutigen – Zeit.
Ein wirklich lesenswertes Buch, nicht nur über die drei Buddha-Gedichte, sondern auch der Verortung im Leben Rilkes und im Kontext seiner Zeit. Darüber hinaus erfährt man vieles über die Begegnungen Rilkes mit anderen Künstlern und Schriftstellern, mit Frauen (Künstlerinnen und Mäzeninnen), und seine eigene Einstellung als Künstler, die sich wesentlich auch in der Begegnung mit Auguste Rodin geformt hat. Und letztlich ist es ein Buch über die Spiritualität Rilkes.
Karl-Josef Kuschel
Als ob er horchte
Rainer Maria Rilkes Dialog mit Buddha
Patmos Verlag 2020, Hardcover mit Schutzumschlag, 208 Seiten, SW-Fotografien
ISBN 978-3-8436-1252-4
EUR 22,00 (D) / EUR 22,70 (A)