Wi(e)der die Kunst

Ein Rundgang durch die (Grazer) Kunstszene. Große Namen können langweilen. Hat Kunst noch Bedeutung? Am Rande sogar eine sehr dichte. Gedanken zu einer Austellung von Friedl Kubelka in der Camera Austria.

Natürlich heißt Kunst immer auch: Alles ist möglich. Einem Inhalt Ausdruck zu verleihen soll keine Grenzen gesetzt sein. Aber Inhaltsloses oder Belangloses künstlich aufzublähen, geht an der Intention doch allzu weit vorbei. Da hilft es auch nichts, wenn ein großer Name drunter steht.

Und dann in der Camera Austria die Ausstellung Friedl Kubelka: Atelier d’Expression (Dakar). Kunst überschreitet Grenzen, innere und äußere, geografische, politische, gesellschaftliche, psychische, nicht zuletzt des Kunstmarktes. Friedl Kubelka besuchte mehrmals das Atelier d‘ Expression in Dakar, Senegal, eine psychiatrische Einrichtung an der UniKlinik, die den Patienten unter anderem künstlerisches Arbeiten ermöglicht. Die Ausstellung zeigt fotografische Doppel-Portraits der Patienten und einen Film über sie. Eingebunden in die Ausstellung sind Bilder der Akteure. Höhepunkt war die von Friedl Kubelka und Georg Gröller initiierte Auktion dieser Bilder, in der alle verkauft werden konnten. Damit wurden diese Künstler, die nie die Gelegenheit hätten, die geringste Rolle in der Kunstszene zu spielen, in diese einbezogen. Hier wurde die Grenze zu den „Outsiders“ in einen verbindenden Brückenschlag verwandelt.

Hier die Fotografin, ihr Blick (durch die Kamera) auf psychiatrische Patienten, ein Blick, der ihnen die Würde so sehr belässt, dass niemand ein Krankheitsbild dahinter vermuten würde, daneben deren Werke, deren Stil einzuordnen vergebliche Mühe wäre. Der Begriff „Outsider Art“ wird zur Fata Morgana degradiert. Die Bilder stehen für sich und wurden als solche gewürdigt.

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Was wäre Kunst, die nicht hinters Licht führt? Die nicht zum Denken anregt und innere Grenzen sprengt? Die Idee stammt von Georg Gröller, Psychotherapeut und Ehemann der Künstlerin. Er verführt zum Nachdenken über Fremdes, das Fremde und die Fremden, und führt über psychologische, soziale, gesellschaftliche und politische Grenzen. Wer sich darauf einlässt, dringt ein in eine Welt, die von Fatalismus und einer mythischen Weltsicht geprägt ist, die wir als rückständig bezeichnen würden. Um zu hören, dass genauso das, im Verein mit einer größeren Eingebundenheit in die Familie, der Grund dafür ist, dass die psychiatrischen Krankheitsbilder im Wesentlichen dieselben sind wie in „zivilisierten“ Ländern, aber einen milderen Verlauf nehmen und eine bessere Prognose haben. Weil sie natürlichen und übernatürlichen äußeren Ursachen zugeschrieben werden, sind die Erkrankungen weniger destruktiv, die Patienten zeigen weniger Scham und größeres Selbstvertrauen als die in Europa.

Georg Gröller bringt es auf den Punkt: „Eine mythische Erklärung der Welt wäre in dieser Frage einer aufgeklärten Rationalität des Abendlandes überlegen.“ Natürlich haben wir letzterer unseren Fortschritt zu verdanken, den niemand missen möchte, aber meist wird der Preis dafür unterschlagen: „die zunehmende Verdinglichung unserer Beziehungen zur Welt, zu den anderen und schließlich auch zu uns selbst – und, was vielleicht noch schwerer wiegt, die zunehmende Verleugnung einer letztlich unhintergehbaren Ohnmacht.“

Vor der jeglicher Machbarkeitswahn kapitulieren muss. Wir können unser mythisches und religiöses Leben verleugnen, dem über die Grenzen hinausgehenden Transzendenten entgehen wir auch in der Psyche nicht. Daher muss die Hardcore-Aufklärung auch das Psychische verdrängen, womit aber alles verdinglicht und das Leben erstarrt und ausgeschlossen wird.

Ein Blick auf Afrika zeigt, dass sich viele Menschen dort nach dem Fortschritt Europas sehnen und auch dorthin aufbrechen, dass noch mehr aber intuitiv erkennen,  dass der Preis zu hoch ist. Sie sehen, dass sie das Opfer der Verdinglichung und Verleugnung bringen müssten, und dass Europa in all seinem Reichtum immer mehr innerlich verarmt. Dies zu sehen wäre auch unsere Aufgabe.

Wenn Georg Gröller uns aufzeigt, dass im Senegal die Idee des Schicksals größer ist als die des Fortschritts, dann führt er uns zwar nicht auf einen Weg zurück. „Aber eines könnten wir aus der Haltung der Schicksalsergebenheit lernen: dass wir das Obsessive an der Idee einer möglichen vollständigen Beherrschung unseres Lebens aufgeben – gerade das nämlich lässt uns paradoxerweise immer mehr vom Herrn zum Sklaven werden.“

So ist es vielleicht nicht übertrieben, in diesem Gemeinschaftsprojekt von Künstlerin, Psychotherapeuten, künstlerisch tätigen Patienten, grenzüberschreitend und überbrückend, letztlich auch – wer sich dazu anregen ließ – von außen nach innen, die Idee eines Gesamtkunstwerks dämmern zu sehen, das große Namen und den kommerziellen Kunstbetrieb locker in den Schatten stellt. So wie nämlich seit 100 Jahren eine bloß „objektive“ Naturwissenschaft nicht mehr möglich ist, weil das „Subjekt“ aus der Welt nicht zu extrahieren ist, so wird auch Kunst letztlich erst in der Beteiligung zum Kunst-(wirkenden)-Werk.

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