Emanzipation von der Emanzipation

Männer sind Machos, Frauen sind Seelchen – ein eher dummes Bild, gegen das anzukämpfen sich lohnt. Aber wie?

Die Emanzipation betrifft beide Geschlechter. Frauen sollten ein selbstbestimmtes Leben führen können. Die untergeordnete Rolle zu spielen, dem starken Mann ausgeliefert zu sein ist frustrierend. Männer sollten sich nicht über die Machorolle definieren müssen, der vordergründig starke Mann ist ja letztlich seiner eigenen Schwäche ausgeliefert, die er verdrängt.

Man muss die Rollenbilder überdenken, aber dieses Überdenken darf sich nicht wieder an den Rollenbildern orientieren. Einfach den Spieß umzudrehen, wird für beide Seiten frustrierend enden und niemandem etwas bringen. Den Frauen die testosterontriefende Arbeitswelt zu öffnen, ist keine sehr elegante Lösung. Die dominierende Frau im Nadelstreif ist nicht emanzipiert, sondern spielt nur eine zweitklassige oder sogar bessere Rolle als ihre männlichen Kollegen. Lösung ist das keine. Da wäre zuerst das System zu überdenken, das weder Frauen noch Männern gut tut. Sich an ein pervertiertes System anzupassen macht keine Frau emanzipiert. Es beutet Männer und Frauen gleichermaßen aus.

Die Mutterrolle gegen die Vorstandsrolle auszutauschen, löst keinerlei Problem. Die Vermännlichung der Frau und umgekehrt die Verweiblichung des Mannes dreht die Rollen nur um statt sie zu überwinden. Die Mutterrolle zu ächten ist Teil eines Krieges, der auf Kosten der Kinder ausgetragen wird.

Spätestens hier wird klar, dass es nicht um zwei geht, sondern um mehr, um Generationen von Kindern. Es ist eine Dreierkonstellation, aus der man heute die Kinder verdrängen will, um in der antiquierten Schwarz-Weiß-Malerei bleiben zu können. Damit züchten wir aber Kinder, die später mit ihren Rollen noch weniger zurechtkommen.

Aber selbst wenn wir bei Mann und Frau bleiben, ist das gewohnte Entweder-Oder-Denken völlig ungeeignet, das Problem zu lösen, nicht einmal es zu sehen. Kein Mensch ist bloß dieses oder jenes. Der Mensch ist so viel mehr als Mensch (David Steindl-Rast) und wird nie endgültig zu definieren sein. Unser an die aristotelische Logik und die Naturwissenschaft angelehntes Weltbild ist schlicht ungeeignet, mit Komplexität umzugehen. Nicht mit der Komplexität der Natur, nicht mit der Komplexität der Wirklichkeit, nicht mit der Komplexität des Menschen und damit auch nicht mit der Komplexität von Mann und Frau.

In einer Beziehung geht es nicht um Mann und Frau, sondern um die Beziehung. Genauso wie es in der Physik um Teilchen und um die Kraft geht, die sie zusammenhält. Es geht nicht um zwei Teilchen, sondern um ein Dazwischen als Drittes, das geradezu fundamental ist, aber in einem „rationalen“ Teilchenbild der Wirklichkeit nicht einmal gesehen wird. Und so wie die Elementarteilchen der Physik nicht wirklich Teilchen sind, so sind auch Mann und Frau keine Einheiten, die es gegeneinander auszuspielen gilt.

Nochmal: Frauen sind komplexe Wesen, Männer auch. Rollenbilder reduzieren diese Komplexität auf einfache Verhältnisse (die es in der Realität nicht gibt, die Wirklichkeit ist immer komplex). Das Problem sind also simple Rollenbilder, die aber aus der Unfähigkeit mit Komplexität umzugehen resultieren. Könnte man diese Komplexität akzeptieren, dann würden viele Probleme ganz anders aussehen oder gar nicht existieren.

Es wäre schon viel gewonnen, wenn man zu begreifen gewillt wäre, dass Menschen nicht eine, sondern viele Rollen spielen. Dann wäre es kein Problem, dass in einer Hinsicht der Mann, in einer anderen die Frau „dominiert“ oder überlegen ist. Vor allem wäre dann die Konstellation individuell und wir könnten uns vom Schubladendenken verabschieden.
Dann müssten Männer nicht den Macho spielen – viele sind es ja auch gar nicht – und Frauen müssten nicht zu ihren Partnern aufschauen – was viele ja auch gar nicht tun. Das primitive Schwarz-Weiß-Denken führt ja vor allem dazu, die Realität nicht zu sehen und zu glauben, abstrakten Rollenbildern folgen oder ablehnen zu müssen.

Menschen sind authentische Individuen. So kann jede/r für sich entscheiden, welche Konstellation er/sie braucht, um sich wohl zu fühlen und wird auch den Partner suchen, der dazu passt. Was ja in der Regel auch passiert. Dann gibt es schlicht Gemeinsamkeiten und Unterschiede, jede/r kann das sein und tun, was ihm/ihr entspricht. Liebe heißt ja (auch), den anderen sein lassen. Abgesehen davon, dass es dann auch eine (gemeinsame) Entwicklung gibt. Jede/r hat Stärken und Schwächen in einem je anderen Bereich. Die sollten sich im Idealfall ergänzen, um dann gemeinsam zu wachsen. Emanzipation würde dann heißen, dass jeder der Partner zu seinen Stärken und Schwächen stehen darf, dass der andere das genau so akzeptiert und sogar liebt.

Natürlich sind Männer und Frauen unterschiedlich, und niemand wird (außer man folgt irgendwelchen unsinnigen Ideologien) ernsthaft darauf verzichten wollen. Aber warum sollte eine junge Frau nicht Mechanikerin lernen, wenn ihr das Spaß macht, oder warum sollte ein Mann mit sozialer Ader nicht Sozialarbeiter oder Krankenpfleger werden? Aber niemand muss müssen. Quotenregelungen sind dabei wohl die dümmste Herangehensweise an ein nicht existierendes Problem. Zwar existieren diese Probleme, aber die sind in den Köpfen und nicht durch äußere Regeln zu lösen.

Und weil wir schon die Komplexität der Wirklichkeit angesprochen haben, die wir endlich ins Auge fassen sollten, statt immer und überall zu simplifizieren, nur weil die Naturwissenschaft alles auf einfache und überschaubare Experimente reduzieren muss, die immer eine Situation darstellen, die es so in der Natur gar nicht gibt. Dabei scheint es, dass Frauen (nicht als Rollenbild) mit Komplexität sogar besser umgehen können als Männer. Wenn ich im realen Leben oder auf Facebook über Quantentheorie diskutieren will, dann finde ich einige Männer, die das gerne tun würden, denen aber meist die Basis dazu fehlt, während es mehr Frauen gibt, meist sogar sehr junge, mit denen man großartig darüber diskutieren kann.

Ein anderes Problem ist, dass eine entgleiste Emanzipation oft Frauen und Männer spalten will. Abstrakte Beziehungsmodelle müssen zerschlagen werden, so als wären die in der Praxis irgendwie relevant. Man wagt ja schon gar keine Beziehung einzugehen, weil man sofort in irgendeine Schublade gesteckt wird, meist sogar in unterschiedliche, je nachdem wer gerade kritisiert.

Vielleicht sollte man da von der Elementarteilchenphysik lernen. Deren Wirklichkeit ist Beziehung, aber nicht Beziehung von etwas, sondern nur Beziehung. Dass das schwer vorstellbar ist, beweist nur die eingefahrenen Denkgewohnheiten. Auch eine menschliche Beziehung ist in erster Linie Beziehung und nicht Beziehung von etwas oder jemand. Was ich bin und was du bist, erklärt nicht die Beziehung. Die ist dieses Dazwischen, das nicht gesucht, erst recht nicht gemacht werden kann. Die ist da oder nicht da. Das hat mit statistischen Rollenbildern so gut wie gar nichts zu tun. Populärer gesagt: Die „Chemie“ muss stimmen. Das ist etwas zwischen uns und nicht die Summe der Eigenschaften von uns beiden.

Das ist irgendwie unerklärlich. Wer es erklären kann, liebt nicht. Passt wunderbar zur Quantentheorie, von der Richard Feynman gesagt hat, wer sie verstanden hat, hat sie nicht verstanden.

Und wenn ich einmal glaube, den Partner zu kennen, dann ist es auch schon vorbei. Auf Beziehungsebene ist nichts „objektiv“, Menschen sind keine Objekte. Das ist Wirklichkeit (etwas das wirkt) und nicht Realität (von res = Ding). Bilder von Männern und von Frauen – welche auch immer – können keine Beziehung erklären. Und das Spielen mit Rollenbildern – in welcher Form auch immer – wird kein Problem lösen.

2 Gedanken zu “Emanzipation von der Emanzipation

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